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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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gutwillig ihre Hüften zudrehte.
    Und er drückte auf den Lichtschalter und sah ihren aufgerichteten Ellenbogen und schlug mit dem Kopfpolster danach, hob die Decke und riß sie weg, er sah ihr Gesicht und ließ seine Hand niederfahren, wortlos, dann löschte er das Licht und nannte ihren Mädchennamen.
    Sie hatte ihm fast lispelnd gesagt, daß sie alles wisse, mitten in seine Beleidigungen hinein hatte sie ihm in dieser Nacht gesagt, daß sie alles wisse, nach Jahren und Monaten, in denen sie sich stumm und unwissend gegeben hatte, nannte sie ihm den Namen Johanna, den er in vielen Nächten mehrmals gemurmelt habe. Und zum erstenmal schwieg er nicht und log nicht, er sagte: ja, und nach einer Weile wieder: ja. Er weinte, weil er nicht mehr wußte, ob dies die Wahrheit war. Vielleicht liebte er sogar diesen Menschen, der alles wußte und neben ihm liegen blieb und sich seine Körperwärme gefallen ließ, wahrscheinlich weinte er, weil er nicht für immer aus diesem Haus davonrannte. Aus den dünnen Rissen ihrer Nasenflügel und ihrer Oberlippe sickerte kaum noch Blut.
    In diesem Zimmer mit den Dielenbrettern hatte er niederknien wollen, aber während er die Knie bog, begann er die Bodenbretter zu zählen und kam bis auf sechs, während er wieder mit gestreckten Beinen und Armen sich hinauf zur Zimmerdecke reckte, bis er nichts mehr fühlte, und er war sich seiner seltsamen Ohnmacht bewußt, als fehlten ihm Arme, um Johanna zu umfassen, sie festzuhalten. Wenn er sich ihre Stimme vorstellte, erschrak er über ihren sachlichen Ton und er hörte sich über das Wetter vor seinem Fenster reden, sie hatten keine Sprache füreinander. In den Stunden, bevor er sie traf, sie zu treffen sich dachte, spürte er eine wachsende Erschöpfung, so daß er sich am liebsten auf den Boden gelegt hätte wie nach einer schweren Arbeit.
    Vor jedem Satz, den Livia sagt, wenn sie mich gewinnen will, lacht sie auf, mich widert dieses Lachen an, sie schüttelt ihre Haare übers Gesicht, fährt mit der Hand über den lachend aufgerissenen Mund. Ich schaue auf ihr Kinn, auf ihre brauenlosen Augen und denke: sie hat sich immer von mir benützen lassen.
    Sie riß ihn jäh aus dem Schlaf, hämmerte mit ihren Fingerknöcheln auf ihn ein, sie knipste das Licht an und aus, leckte über sein Gesicht.
    Er hatte ihr nie einen Brief geschrieben, er hatte sich nicht einmal vorgemacht, den Brief aufzuschieben, aber in dieser Nacht sagte er sich, du mußt ihr schreiben, und er schrieb in seinem Kopf: Liebe Livia, ich wollte schon einige Male zum Schreiben ansetzen und habe es nicht getan, ich weiß, es ist ein Unrecht, das ich dir antue, wenn ich dir schreibe, denn ich habe kein Recht auf irgendeine Hoffnung, worauf denn auch? Meine Worte sind Mitleidsbezeugungen oder ich weiß nicht was, vielleicht, weil ich mir dein Unglück mit den Schlaftabletten vorstellen kann, bitte ich dich, daß du mich zurückrufst, wenn du noch lebst.
    Er war betrunken, er schrieb nicht einmal im Kopf weiter, sagte nur so vor sich hin: Also werde ich wieder mit dir schlafen, und doch glaube ich, dich einmal geliebt zu haben, ich glaube nicht, daß mich von Anfang an das Mitleid zu dir gezogen hat.
    Er erschrak, als das Telefon klingelte und warf den Apparat fast zu Boden, griff zu hastig nach dem Hörer, ohne sich vorstellen zu wollen, wer es sein könnte, und doch hatte er Livia erwartet. Zögernd meldete er sich, lauernd, er lauerte auf das Unglück. Ja, sagte er gedehnt, aber es war nur der Portier, der ihn fragte, wie lange er das Zimmer noch brauche. Er starrte auf die Wand neben der Zimmertür, bis er auf dem Kalenderbild den gemalten Schatten unter einer Flasche wahrnahm. Im Ohr hatte er noch den Tonfall, den viel zu freundlichen, künstlichen Tonfall seiner eigenen Stimme, und wußte doch nicht mehr, was er dem Portier gesagt hatte, nur den Schwall von Worten erinnerte er und dieses Gefühl, nackt vor der Empfangsloge zu stehen.
    Wenn ich zu Livia zurückfahre, komme ich zu ihr, um sie zu betrachten, ja, ich gehe mir etwas anschauen und ich freue mich darauf. Sie will eine Antwort von mir, und ich finde keine. Sie sagt: In meiner Verzweiflung, und ich sage: Ich weiß, ich wußte es. Er hört sie weinen und trinkt zwei Kognak, und er möchte ihr Kognak in die Augen träufeln, tatsächlich greift er unter das Hemd und umfaßt sein Herz und preßt es

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