Dauerhaftes Morgenrot
Gesicht im Spiegel prüft und seine Fähigkeit, Vertrauen zu erwecken und zu beruhigen oder zu beunruhigen, aufzuschrekken, zu erregen, aufzureizen, zu befehlen, zu ängstigen, einzuschüchtern. Und als er seine Hand aus dem Becken hebt, bleibt ein fast kahler Fleck zurück, ein aus dem billigen Porzellan herausgeschälter Lungenflügel, nein, nichts anderes als ein ausrinnendes Herz. Er sagt: Johanna, und erst dann: Livias zerfressener Lungenflügel, Livias zerschnittenes Herz. Johanna bleibt die kahle Stelle, ohne Gesicht.
Langsam suchte er die Zimmermitte, ging in die Knie und legte sich platt neben das Bett, mit einer Hand zog er die Decke herunter. Als er die Augen schloÃ, war ihm, als würde er von einer sanften Automatik aufgehoben, er kippte mit dem Oberkörper nach vorne, im Mund den Geschmack von warmem Blut.
Du hast mich überlebt, Livia, du hattest zu tun, muÃtest über die Hitze der vielen Sandkörner springen, du warst beinahe glücklich am Strand, an dessen Ende ich mit dem Tang ans Ufer kam.
Du hast mich überlebt, bist nie und nimmer schuldig geworden an meinem Dasein.
Immer warst du dir deines Daseins gewiÃ, eingeschlossen im Bernstein, das reizte mich, Livia, mit uns zu spielen, es war ja nur ein Spiel, daà ich ihn, daà ich Martin mehrmals hintereinander einlud, um ihn dir vertraut zu machen, mit seinen graublauen Augen, meinen Schulfreund, der dir jedesmal dein Liebeslied, das auch sein Lieblingslied war, vorsang: G-r-a-naa-da-a. Du bist zwischen uns beiden hindurchgegangen, bist aufgetaucht aus der Küche und hast zugehört, immer wieder hast du plötzlich zwischen uns gestanden, hast dich an mich gelehnt und bist wieder in die Küche zurückgegangen, bei Tisch haben wir zusammen gelacht, sind uns nahe gekommen, Körper an Körper haben wir später im Winkel der Sofaecke gesessen, es war nichts als dieses Minimum an Neugierlust, daà ich dich, Livia, nachts zu fragen anfing, ob er dir gefalle mit seinen graublauen Augen.
Livia hatte mit den Schultern gezuckt, sie zuckte mit den Schultern, nichts war für sie anders, das Mittagessen endete mit dem SchlieÃen der Tür hinter dem Gast und das Abendessen endete mit dem SchlieÃen der Tür hinter dem Gast.
Aber ich weiÃ, daà er dir gefällt.
Sie hatte sich abgewandt, sie hatte sich im Schlaf von ihm weggedreht, aber sie lieà sich lieben, heftiger als zuvor, bildete er sich ein. Es ist nur ein Spiel, redete er ihr zu, und nicht ernst zu nehmen, wie sie ja wisse, und sie lag neben ihm und hörte stumm zu oder auch nicht. Sie stieà ihn von sich, als er sagte, daà sie dies alles niemals ernst nehmen dürfe, aber natürlich so tun solle, sonst sei es ja kein Lustspiel.
Nie müsse sie, nie brauche sie ihm davon, was immer auch passiere, erzählen, sie rückte von ihm weg, sie rollte sich zusammen, igelte sich gegen ihn ab.
Aber an diesem verregneten Wintermorgen, an einem Sonntag, fragte er sie, und beim Abräumen des Frühstückstisches sagte sie: Wenn du willst.
Er fuhr mit ihr durch den Regen, von ihrem AuÃenbezirk in die Altstadt, zuerst wartete sie mit aufgespanntem Regenschirm vor der Telefonkabine, dann klappte sie den Schirm zusammen und kam in die Kabine, stellte sich neben ihn, während er für sie die Nummer seines Freundes wählte. Und als das Freizeichen ertönte, reichte er den Hörer an Livia weiter.
Sie hatte eine sehr ruhige freundliche Stimme, während sie mit Martin sprach: Wenn es dir recht ist, könnte ich zu dir kommen, jetzt gleich.
Ich habe neben dir gestanden, Livia, und du hast zu Martin gesagt: Ich komme zu dir, wenn es dir recht ist, jetzt gleich.
Er hatte sie mit dem Wagen in die StraÃe seines Freundes gefahren, und sie umarmte und küÃte ihn und stieg aus, er sah sie, wie sie vorgebeugt in das Haustelefon hineinsprach.
Ich fuhr weiter, fuhr durch die Altstadt hinaus auf eine LandstraÃe, die auf einen Aussichtsberg hinaufführt, es regnete immer heftiger, ich freute mich über das Hin- und Herfahren der Scheibenwischer, über dieses gleichbleibende Geräusch.
Der Lift war auÃer Betrieb, das Haus voller Geräusche, voller Zurufe in unbekannten Sprachen, auch voller Flüsterstimmen, besänftigender Samtlaute, Lukas überholte im Stiegenhaus eine Riesin, eine Ãthiopierin, die ihre zwei roten Lackkoffer, eng an die Knie angepreÃt, hinunterbugsieren muÃte,
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