Daughter of Smoke and Bone
dasselbe gewünscht haben.«
Ein schöner Gedanke. Dieses erste Mal war Madrigals Wunsch einfach, klar und leidenschaftlich: Sie wünschte sich, dass sie Akiva wiedersehen würde. Daran zu glauben war die einzige Möglichkeit, den Schmerz der Trennung auszuhalten.
Sie erhoben sich von ihrem Lager aus zerknitterten Kleidern. Madrigal musste sich wieder in das mitternachtsseidene Gewand zwängen, wie eine Schlange in ihre abgeworfene Haut. Dann gingen sie in den Tempel und tranken aus der heiligen Quelle, die dort aus der Erde sprudelte. Madrigal spritzte sich das Wasser auch ins Gesicht, bat Ellai in einem stillen Gebet, ihr Geheimnis zu schützen, und versprach der Göttin, Kerzen mitzubringen, wenn sie das nächste Mal herkam.
Denn natürlich würde sie wiederkommen.
Der Abschied war fast wie ein Bühnendrama, eine übersteigerte körperliche Unmöglichkeit. Bis zu diesem Moment hätte Madrigal sich nicht vorstellen können, wie schwer es sein würde, wegzufliegen und Akiva hierzulassen. Immer wieder machte sie kehrt für einen letzten Kuss. Ihre Lippen fühlten sich vom Küssen schon fast wund an, und Madrigal war überzeugt, dass man ihr ansehen konnte, wie sie die Nacht verbracht hatte.
Doch schließlich flog sie los. Die Maske flatterte an einem ihrer langen Bänder hinter ihr her wie ein kleiner Vogel, und unter ihr erstreckte sich die gerade erst von der Morgendämmerung berührte Landschaft bis zurück nach Loramendi. Ganz still lag die Stadt im Nachhall der Feierlichkeiten: Brandgeruch und Feuerwerksqualm hingen noch schwer in der Luft. Durch einen Geheimgang gelangte Madrigal in die unterirdische Kathedrale. Die ineinandergreifenden Tore waren von Brimstones Magie so kodiert, dass sie sich beim Klang ihrer Stimme öffneten, und es gab keine Wachen, die sie hereinkommen sahen.
Es war ganz einfach.
An diesem ersten Tag war Madrigal zaghaft, vorsichtig, denn sie wusste ja nicht, was in ihrer Abwesenheit vorgefallen war und welcher Zorn sie erwartete. Aber das Schicksal wob seine unbegreiflichen Fäden, und an diesem Morgen kam von der Mirea-Küste ein Spion mit der Nachricht, dass Seraphim-Galeonen in Bewegung waren. So verließ Thiago Loramendi fast zeitgleich mit Madrigals Rückkehr.
Chiro fragte ihre Schwester, wo sie gewesen war, und Madrigal erzählte ihr eine vage Lüge. Von da an änderte sich das Verhalten ihrer Schwester ihr gegenüber. Immer wieder ertappte Madrigal sie dabei, wie sie sie mit einem seltsamen, leeren Gesicht beobachtete, sich dann aber rasch abwandte und mit irgendetwas herumhantierte. Auch sahen sie sich weniger als sonst, zum Teil, weil Madrigal in ihrer neuen, geheimen Welt lebte, zum Teil, weil Brimstone sehr oft ihre Hilfe brauchte und sie deshalb ihrer sonstigen Pflichten enthoben war. Ihr Bataillon wurde als Reaktion auf die Truppenbewegungen der Seraphim nicht mobil gemacht, und Madrigal dachte an die Ironie des Schicksals, dass sie wahrscheinlich Thiago dafür zu danken hatte. Sie wusste, dass er sie bisher geschützt hatte, damit ihre »Reinheit« erhalten blieb, und wahrscheinlich hatte er vor seiner Abreise keine Zeit mehr gehabt, die entsprechenden Befehle zu widerrufen.
So verbrachte Madrigal ihre Tage bei Brimstone im Laden und in der Kathedrale, fädelte Zähne auf und schuf Körper, aber ihre Nächte gehörten Akiva – sooft sie es einrichten konnte.
Sie kaufte Kerzen für Ellai, gelegentlich auch Frangibel, den Lieblingsräucherduft der Mondschwester, und sie schmuggelte Speisen in den Hain, die sie und Akiva mit den Fingern aßen, nachdem sie sich geliebt hatten. Honigkonfekt und Sündenbeeren und Bratvögel, denn sie hatten beide einen unbändigen Appetit, und immer dachte Madrigal daran, den Wunschknochen aus der Brust des Geflügels zu entfernen. Sie brachte Wein in schlanken Flaschen mit, aus Quarz geschnitzte winzige Tassen, die sie in der heiligen Quelle auswuschen und im Tempelaltar bis zur nächsten gemeinsamen Nacht versteckten.
Bei jedem Wunschknochen, bei jedem Abschied hofften sie, dass es ein nächstes Mal geben würde.
Wenn Madrigal still bei Brimstone saß und arbeitete, hatte sie manchmal das Gefühl, dass Brimstone wusste, was sie trieb: Sein goldgrüner Blick ruhte auf ihr, als hätte er sie durchschaut. Dann sagte sie sich, dass sie so nicht weitermachen konnte, dass es der reine Wahnsinn war und sie ihm ein Ende bereiten musste. Einmal probierte sie auf dem Flug zum Requiem-Hain sogar aus, was sie Akiva sagen würde, aber als sie
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