Daughter of Smoke and Bone
sie einfach fallen und berührte Madrigal mit bloßen Händen, Fingerspitzen auf ihren Armen, hinauf zu ihrem Hals. Behutsam fasste er an ihren Hinterkopf, löste das Band der Maske und nahm sie ihr ab. Auf einmal öffnete sich ihr Gesichtsfeld, das den ganzen Abend auf die schmalen Augenschlitze beschränkt gewesen war, und sie sah Akiva, noch immer mit seiner komischen Maske. Sie hörte sein leises Ausatmen, dann ein Murmeln – »So schön!« –, und sie streckte die Hand aus und befreite auch ihn von seiner Tarnung.
»Hallo«, flüsterte sie, wie sie es getan hatte, als sie beim Emberlin aufeinandergetroffen waren. Damals hatte sie das Gefühl gehabt, vor Freude aufzublühen, aber diese Freude war im Vergleich zu dem Feuerwerk, das er jetzt in ihr entfachte, bestenfalls ein Funke gewesen.
Er war noch wundervoller, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. In Bullfinch hatte er sterbend auf dem Schlachtfeld gelegen, aschfahl, kraftlos – und dennoch unverkennbar schön. Aber jetzt, bei voller Gesundheit und in Liebe entbrannt, war er schlicht einzigartig. Voller Begeisterung sah er sie an, hoffnungsvoll und gespannt, beflügelt, bezaubert – glücklich. Und unbeschreiblich
lebendig
.
Ihretwegen war er lebendig, sie hatte ihm das Leben gerettet.
»Hallo«, antwortete er ihr flüsternd.
Sie starrten einander an, voller Staunen, dass sie sich nach zwei Jahren nun leibhaftig gegenüberstanden, das Produkt ihrer Wünsche und Träume.
Nur Berührung konnte diesen Moment real werden lassen.
Madrigals Hände zitterten, als sie sie ausstreckte, beruhigten sich aber, sobald sie sich auf Akivas starker Brust niederließen. Hitze pulsierte durch den Stoff seines Hemds. Die Luft im Wäldchen war so üppig, dass man sie hätte trinken können, so greifbar, dass man mit ihr tanzen wollte. Wie eine Präsenz zwischen ihnen – aber nur bis zu dem Augenblick, als Madrigal auf Akiva zutrat.
Seine Arme umschlossen sie, und sie wandte ihr Gesicht zu ihm empor und flüsterte noch einmal: »Hallo.«
Als er es diesmal wiederholte, hauchte er es auf ihre Lippen. Ihre Augen waren offen, noch immer voller Staunen, und erst als ihre Lippen sich endlich berührten, schlossen sie sich langsam, mit flatternden Lidern, und ein anderer Sinn – die Berührung – konnte die Oberhand gewinnen, indem er sie überzeugte, dass das, was jetzt passierte, real war.
Die Erfindung des Lebens
Es war einmal vor langer Zeit, da gab es nur Dunkelheit, und darin schwammen Monster, so groß wie Welten. Das waren die Gibborim, und sie liebten die Dunkelheit, weil sie ihre Hässlichkeit verbarg. Wann immer ein anderes Geschöpf etwas ersann, das für Licht sorgte, löschten die Gibborim es aus. Als die Sterne geboren wurden, verschluckten sie sie, und es hatte den Anschein, als würde es ewig dunkel bleiben.
Aber eine Rasse kluger Krieger hörte von den Gibborim und kam, um sie zu bekämpfen. Lange dauerte der Kampf, und viele Krieger mussten ihr Leben lassen. Doch als sie am Ende die Monster besiegten, waren noch hundert von ihnen am Leben, und diese hundert waren die Göttersterne, die Licht ins Universum brachten.
Sie schufen die anderen Sterne und auch unsere Sonne, und von nun an gab es keine Dunkelheit mehr, sondern nur noch endloses Licht. Sie schufen Kinder nach ihrem Ebenbild – die Seraphim – und schickten sie hinunter, um das Licht zu den Welten zu bringen, die sich im Weltenraum drehten, und alles war gut. Doch eines Tages überzeugte sie der letzte der Gibborim, der den Namen Zamzumin trug, dass auch Schatten nötig war und dass das Licht im Kontrast dazu noch heller erscheinen würde, und so schufen die Göttersterne den Schatten.
Aber Zamzumin war ein Betrüger. Er brauchte nur ein Stückchen Dunkelheit, um damit zu arbeiten. Er hauchte den Schatten Leben ein, und wie die Göttersterne die Seraphim nach ihrem Bild geschaffen hatten, schuf Zamzumin die Chimären nach seinem eigenen Bild, und sie waren hässlich. Danach kämpften die Seraphim für immer auf der Seite des Lichts und die Chimären aufseiten der Dunkelheit, und sie würden Feinde bleiben bis zum Ende der Welt.
***
Madrigal lachte schläfrig. »Zamzumin? Das ist ein Name?«
»Frag mich nicht. Er ist dein Urahn.«
»Ach ja. Der hässliche Onkel Zamzumin, der mich aus einem Schatten erschaffen hat.«
»Aus einem hässlichen Schatten«, ergänzte Akiva. »Was erklärt, warum du so hässlich bist.«
Wieder lachte sie, schwer und träge vor Vergnügen. »Ja,
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