Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
Vom Netzwerk:
erinnern sich, damals gab es keine Handys. Wir sind einfach losgegangen. Ichhatte Angst. Ich habe meinen Sohn in den Kinderwagen gelegt. Wir haben ein paar Kleider für ihn und für uns zusammengerafft. Unter dem Kinderwagen war eine Ablage, da haben wir die Sachen reingestopft. Und Terry hat zu mir gesagt. »Okay Rosie, wir gehen jetzt hier raus und lächeln jeden freundlich an, dem wir begegnen.« Ich habe gezittert. Ich war damals 19, frisch verheiratet, neues Baby, neue Welt, neues Leben. Das habe ich alles verloren, einfach so. Und ich konnte nichts dagegen tun. Angst ist etwas ganz Furchtbares, und ich erinnere mich, dass ich riesige Angst hatte. «
    Der sicherste Ort war der katholische Stadtteil Ballymurphy im Westen von Belfast, wo Lawlors Eltern lebten. Aber sie hatten kein Auto, und da sich die Stadt in Aufruhr befand, traute sich kein Taxifahrer in ein katholisches Viertel. Schließlich gelang es ihnen, ein Taxi anzuhalten, weil sie dem Fahrer erzählten, ihr Kind sei krank und müsse in ein Krankenhaus. Als sie im Taxi saßen und die Tür geschlossen hatten, sagte Terry: »Nach Ballymurphy.« Der Fahrer sagte: »Nein, da fahre ich auf keinen Fall hin.« Aber Terry hatte einen Schürhaken mitgenommen. Den zog er heraus und drückte dem Fahrer die Spitze an den Hals. »Sie werden uns dorthin fahren.« Der Fahrer brachte sie an den Rand von Ballymurphy und hielt dort an. »Ich fahre nicht weiter, und wenn Sie mich mit dem Ding aufspießen«, sagte er. Die Lawlors packten ihr Baby und ihre Habseligkeiten zusammen und liefen um ihr Leben.
    Anfang 1970 verschlimmerte sich die Lage. An Ostern kam es in Ballymurphy zu Krawallen. Die Armee wurde mobilisiert und Patrouillen mit Panzerfahrzeugen fuhren durch die Straßen. Rosemary Lawlor schob ihren Kinderwagen an Soldaten mit Maschinengewehren und Tränengasgranaten vorbei. An einem Juni-Wochenende kam es im Nachbarviertel zu einem Feuergefecht, als eine Gruppe katholischer Schützen das Feuer auf protestantische Passanten eröffnete. In Reaktion darauf versuchten protestantische Loyalisten, in der Nähe des Hafens eine katholische Kirche niederzubrennen. Die Schießerei dauerte fünf Stunden. In der ganzen Stadt brannten Hunderte Häuser. Die Bilanz des Wochenendes waren sechs Tote und über 200   Verletzte. Derbritische Innenminister flog aus London ein, sah sich das Chaos an und eilte zum Flugzeug zurück. »Um Gottes Willen, ich brauche einen großen Scotch!«, rief er. »Was für ein schreckliches Land.« 124
    » Eine Woche später ging eine Frau durch die Straßen von Ballymurphy. Sie hieß Harriet Carson. »Sie ist später bekannt geworden, weil sie Maggie Thatcher in der City Hall ihre Handtasche über den Kopf geschlagen hat«, erinnert sich Lawlor. »Ich habe sie schon als Kind gekannt. Harriet ist die Straße runter gekommen, hat zwei Topfdeckel gegeneinandergeschlagen und gerufen: ›Kommt raus, kommt raus, kommt raus! Die bringen die Leute von Lower Falls um!‹ Ich bin raus auf die Straße. Meine ganze Familie war schon draußen. Und sie hat geschrien: ›Die haben sie in ihre Häuser gesperrt. Die Kinder haben keine Milch, sie können sich keinen Tee machen, sie haben kein Brot, kommt raus, kommt raus, wir müssen was tun!« «
    Lower Falls ist ein katholisches Viertel und liegt direkt unterhalb von Ballymurphy. Lawlor war in Lower Falls zur Schule gegangen. Ihr Onkel lebte dort, genau wie viele ihrer Cousins. In Lower Falls kannte sie genauso viele Menschen wie in Ballymurphy. Die britische Armee hatte eine Ausgangssperre verhängt und den Stadtteil nach Waffen durchsucht.
    » Ich habe nicht mal gewusst, was eine Ausgangssperre ist«, erzählt Lawlor. »Ich hatte keine Ahnung. Ich musste erst mal eine Nachbarin fragen: ›Was ist das?‹ Und die hat mir gesagt, sie dürfen nicht raus auf die Straße. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. ›Was bedeutet das?‹ ›Die Leute sind in ihren Häusern eingesperrt. Sie können nicht mal raus, um Brot und Milch zu kaufen. Und die Soldaten treten ihnen die Türen ein, sie hauen ihnen die Einrichtung kurz und klein und durchsuchen die Häuser.‹ Ich war sprachlos. Die größte Sorge war, die Leute sind in ihren Häusern eingesperrt, und da sind die Kinder. Damals haben in manchen Häusern 12, 15   Kinder gewohnt. So war das damals. ›Was soll das heißen, sie können nicht raus?‹ Sie waren wütend. «
    Heute ist Rosemary Lawlor Mitte 60, eine kräftige Frau mit runden Backen, kurzen weißblonden Haaren

Weitere Kostenlose Bücher