David und Goliath
in Brownsville passierte.
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Als Leites und Wolf schrieben: »um auf das Verhalten der Bevölkerung einzuwirken, sind weder Sympathie noch Mystik nötig«, waren sie offenbar überzeugt, dass der Staat über grenzenlose Macht verfügt. Wer Ordnung herstellen wolle, müsse sich keine Gedanken darüber machen, was die Menschen, denen er die Ordnung aufzwingen wolle, von ihm hielten. Aber Leites und Wolf hatten sich gründlich getäuscht. Jaffe ist einer von zahllosen Beweisen, dass sich die Mächtigen sehr wohl Gedanken darüber machen müssen, was die anderen von ihnen halten, und dass diejenigen, die Befehle erteilen wollen, sehr wohl von der Meinung der Menschen abhängig sind, die sie herumkommandieren wollen.
Als General Freeland nach Lower Falls kam, war ihm dies nicht klar. Er unternahm keinerlei Anstrengungen, zu verstehen, wie sich die Ereignisse aus Sicht von Menschen wie Rosemary Lawlor darstellten. Er dachte, er habe einen Aufstand niedergeschlagen, als er durch die leergefegten Straßen fuhr wie ein britischer Kolonialherr auf Tigerjagd. Wenn er sich die Mühe gemacht hätte, den Berg hinauf nach Ballymurphy zu fahren, wo Harriet Carson ihre Nachbarinnen zusammentrommelte, dann wäre ihm klar geworden, dass der Aufstand gerade erst begonnen hatte.
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In Nordirland ist der Juli der Höhepunkt der »Marching Season«, der Saison, in der die protestantischen Loyalisten ihre Jahrhunderte zurückliegenden Siege über die Katholiken der Insel mit großen Aufmärschen feiern. 132 Sie veranstalten Prozessionen, Flaggenparaden, Marschmusikparaden, Flötenparaden, Dudelsackparaden, Akkordeonparaden und Paraden, in denen die Teilnehmer in dunklen Anzügen mit Schärpen und Melonen durch die Straßen marschieren. Es sind Hunderte Aufmärsche mit Zehntausenden Teilnehmern. Höhepunkt ist jedes Jahr ein riesiger Umzug am 12. Juli, mit dem der Sieg Wilhelms von Oranien in der Schlacht am Boyne im Jahr 1690 gefeiert wird – der Sieg, mit dem die Protestanten die Vorherrschaft über Irland erlangten. 133
In der Nacht zum 12. Juli werden im ganzen Land riesige Feuer entzündet und Partys gefeiert. Wenn die Flammen am höchsten lodern, werden Symbole der irischen Katholiken verbrannt; in der Vergangenheit war dies oft der Papst oder ein besonders verhasster katholischer Würdenträger. Zur Melodie von »Clementine« singen die Feiernden:
Build a bonfire,
Build a bonfire,
Stick a Catholic on the top,
Put the Pope right in the middle
And burn the fucking lot. 134
Nordirland ist kein sonderlich großes Land. Die Städte sind dicht und kompakt, und wenn die Loyalisten jeden Sommer mit ihren Melonen, Schärpen und Flöten durch die Straßen marschieren, kommen sie unweigerlich auch an Vierteln vorüber, in denen die Menschen leben, deren Niederlage sie feiern. Die Hauptverkehrsstraße des katholischen Teils von West-Belfast liegt oft nur wenige Fußminuten von der Verkehrsader entfernt, die durch das Herz des protestantischen Teils von West-Belfast führt. In manchen Vierteln stoßen die Hinterhöfe von katholischen und protestantischen Straßen aneinander, und an diesen Stellen werden die Häuser durch riesige Metallgitter voneinander getrennt, um zu verhindern, dass die Nachbarn sich mit Steinen oder Molotowcocktails bewerfen. In der Nacht vor dem 12. Juli, wenn die Loyalisten in der ganzen Stadt riesige Scheiterhaufen entzünden, können die Menschen in den katholischen Vierteln den Rauch riechen, die Gesänge hören und zusehen, wie ihre Flagge verbrannt wird.
In der Marching Season kommt es immer zu Gewalt. Einer der Vorfälle, der schließlich zum Nordirlandkonflikt führte, ereignete sich zwei Tage nach einem Umzug durch ein katholisches Viertel und den zugehörigen Krawallen. Auf dem Nachhauseweg durch den Westen von Belfast randalierten die Marschierer und brannten Dutzende Häuser nieder. 135 Die Schießereien, die Freelands Geduld im folgenden Sommer derart auf die Probe stellten, ereigneten sich in der Regel während der Märsche der Protestanten.
Können Sie sich vorstellen, wie sich die Einwohner von Lower Falls gefühlt haben müssen, als sie eines Tages aus dem Fenster blickten und sahen, wie Polizei und Armee in ihrem Viertel aufmarschierten? Auch sie hatten ein großes Interesse daran, dass in Belfast Recht und Ordnung herrschten. Aber genauso wichtig war ihnen, wie Recht und Ordnung durchgesetzt wurden. Der 12. Juli, an dem ihre Fahne und ihr Papst auf
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