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David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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der Durchsetzung von Recht und Ordnung in der Gesellschaft. Das ist allerdings nicht immer ganz so einfach nachvollziehbar. Wir kennen unsere Eltern und Lehrer, weshalb es uns einleuchtet, dass das Legitimitätsprinzip zu Hause und in der Schule eine wichtige Rolle spielt. Aber fällt die Entscheidung, eine Bank zu überfallen oder jemanden zu erschießen, nicht in eine ganz andere Kategorie? Genau das meinten jedenfalls Leites und Wolf, als sie behaupteten, der Kampf gegen Kriminelle und Aufständische erfordere »weder Sympathie noch Mystik«. Ihrer Ansicht nach ist die Entscheidung, Gesetze zu befolgen, das Ergebnis einer völlig rationalen Kosten-Nutzen-Rechnung. Es handelt sich nicht um eine persönliche Angelegenheit. Aber genau da liegt der Irrtum, denn wenn wir Kriminelle und Aufständische dazu bringen wollen, sich an die Spielregeln zu halten, ist die Legitimität genauso wichtig wie im Klassenzimmer.
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    Sehen wir uns ein weiteres Beispiel an. In den vergangenen Jahren wurde der New Yorker Stadtteil Brownsville Schauplatz eines Experiments. Brownsville hat etwas über 100   000   Einwohner und liegt inder östlichen Ecke von Brooklyn, hinter den eleganten Häusern von Park Slope und den Synagogen von Crown Heights. 130 Über ein Jahrhundert lang war es eine der heruntergekommensten Ecken von New York City. In Brownsville gibt es insgesamt achtzehn städtische Wohnprojekte, mehr als in jedem anderen Stadtteil. Sie beherrschen die Skyline: Straßenzug um Straßenzug finstere, gesichtslose Türme aus Backstein und Beton. Während in den letzten zwei Jahrzehnten die Kriminalität im Rest der Stadt dramatisch zurückgegangen ist, hinkt Brownsville hinterher. Hier ziehen nach wie vor Gangs von Jugendlichen durch die Straßen und überfallen Passanten. Hin und wieder schickte die Polizei ein Großaufgebot von Polizisten nach Brownsville, doch die Situation besserte sich, wenn überhaupt, nur vorübergehend. Im Jahr 2003 wurde eine junge Frau namens Joanne Jaffe Leiterin der Housing Police, der für die sozialen Wohnprojekte zuständigen Polizeitruppe. Sie beschloss, etwas Neues auszuprobieren.
    Jaffe ließ eine Liste aller Jugendlichen von Brownsville zusammenstellen, die in den zurückliegenden zwölf Monaten mindestens einmal festgenommen worden waren. Die Suche ergab 106   Namen, die 180   Festnahmen entsprachen. Jaffe schätzt, dass ein Jugendlicher, der wegen eines Überfalls festgenommen wird, zwischen 20 und 50 andere Delikte auf der Kappe hat, die der Polizei nie gemeldet wurden. Das heißt, ihre Gruppe von 106   Jugendlichen war vermutlich für bis zu 5000   Delikte verantwortlich.
    Dann stellte sie eine Sondereinheit zusammen, die zu jedem Jugendlichen auf der Liste Kontakt aufnehmen sollte. »Wir haben ihnen gesagt, ihr kommt in ein Programm«, erklärt Jaffe. »Ihr habt eine einfache Wahl. Wir wollen alles tun, damit ihr wieder zur Schule geht und einen Abschluss macht, wir wollen euren Familien helfen und in Erfahrung bringen, was sie brauchen. Wir bieten euch Jobs, Ausbildung, Krankenversicherung, alles, was wir können. Wir wollen mit euch zusammenarbeiten. Aber das kriminelle Verhalten muss aufhören. Wenn ihr wieder verhaftet werdet, tun wir alles, um euch hinter Gitter zu bringen. Es ist mir egal wie lächerlich das Vergehen ist. Wir schauen euch auf die Finger.«
    Das Programm hieß J-RIP, »Juvenile Robbery Intervention Program«. Oberflächlich betrachtet war es nichts anderes als ein typisches polizeiliches Bewährungsprogramm. Doch das Büro der Sondereinheit befand sich nicht auf der Wache, sondern in einem Wohnwagen auf dem Parkplatz eines Wohnprojekts. Die Mitarbeiter hatten jedes nur erdenkliche Überwachungsinstrument zur Verfügung. Für jeden Jugendlichen erstellten sie Listen mit möglichen Komplizen. Von Facebook luden sie Fotos von Freunden mit Verbindungen zu Gangs herunter. Sie sprachen mit Geschwistern und Müttern und erstellten für jeden eine Wandkarte, auf der sie ihre Netzwerke mit ihren Freunden und Bekannten eintrugen – ähnlich wie ein Geheimdienst, der die Bewegungen von Terrorverdächtigen verfolgt.
    » Meine Leute sind rund um die Uhr im Einsatz«, sagt Jaffe. »Wenn einer der Jugendlichen verhaftet wird, schicke ich eine Mannschaft los, wenn es sein muss. Es ist mir egal, ob es in der Bronx ist oder ob es mitten in der Nacht ist. Es muss spürbare Konsequenzen geben. Sie müssen wissen, was sie erwartet. Es muss schnell passieren. Wenn du verhaftet wirst,

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