David und Goliath
stehe ich vor dir. Wenn ich dich zu Hause besuche, kannst du mir ruhig die Tür vor der Nase zuschlagen. Aber auf der Straße sehen wir uns wieder. Ich grüße dich. Ich bringe alles über dich in Erfahrung. Wenn du von Brooklyn in die Bronx fährst, weiß ich, in welchem Zug du sitzt. Wir sagen zu Johnny, komm morgen ins J-RIP-Büro, und wenn Johnny kommt, sagen wir ihm: ›Du bist gestern in der Bronx erwischt worden. Du hast eine Vorladung bekommen.‹ Und er sagt: ›Hä?‹ Und wir sagen: ›Du warst mit Raymond Rivera und Mary Jones zusammen.‹ ›Woher wissen Sie das?‹ Irgendwann haben sie gedacht, wir sind überall. Wir hatten für jeden eine Akte und haben ihnen gezeigt, was wir alles über sie wissen. Wir haben gesagt: ›Das sind deine Kumpel. Hier sind die gesamten Informationen über dich. Hier sind deine Bilder. Wir wissen, dass du da und da zugehörst. Wir wissen, dass du zu einer Bande gehören könntest. Wir kennen deine Welt.‹ Wir wussten, wo sie zur Schule gehen sollten und mit wem sie in der Schule abhängen. Wenn sie nicht zum Unterricht erschienen sind, haben wir einen Anruf bekommen. Dann sind die Mitarbeiter los und haben sie aufgeweckt und sie aus der Falle geholt. «
Doch das war noch längst nicht alles. Jaffe tat auch Dinge, die wenig mit typischer Polizeiarbeit zu tun haben. Sie verwendete beispielsweise viel Zeit auf die Auswahl geeigneter Beamter für ihre Sondereinheit. »Da kann man doch nicht einfach irgendwelche Beamten hinschicken«, sagt sie und erinnert eher an eine Sozialarbeiterin als an eine Polizeichefin. »Ich wollte Beamte, die Kinder mögen, die keinen Hauch negativer Einstellung mitbringen und die in der Lage sind, Jugendliche zu beeinflussen und aufs richtige Gleis zu setzen.« Als Leiter der Sonderheit wählte sie schließlich David Glassberg, einen umgänglichen Mann und früheren Drogenermittler, der selbst Kinder hatte.
Von Anfang an wollte sie auch unbedingt einen Kontakt zu den Familien der Jugendlichen herstellen. Das erwies sich jedoch als erstaunlich schwierig. Im ersten Anlauf verschickte sie Briefe an jede Familie und lud sie zu einem Treffen in den Räumlichkeiten einer Kirche ein. Niemand kam. Also gingen Jaffe und ihr Team von Tür zu Tür. Auch das brachte nichts. »Wir haben alle 106 Familien besucht, aber sie haben uns nicht mal reingelassen.«
Es dauerte Monate, bis sie einen ersten Durchbruch erzielte.
» Wir hatten einen Knaben, nennen wir in Johnny Jones. Das war ein schlimmer Finger. Er war damals 14 oder 15 und hat bei seiner 17- oder 18-jährigen Schwester gelebt. Seine Mutter hat in Queens gewohnt. Sogar die Mutter hatte einen Hass auf uns. Wir hatten niemanden, zu dem wir Kontakt aufnehmen konnten. Im November des ersten Jahres, 2007, am Mittwoch vor Thanksgiving, ist David Glassberg zu mir ins Büro gekommen.
Er hat zu mir gesagt: ›Die Jungs haben zusammengelegt, um Johnny Jones und seiner Familie heute Abend ein Thanksgiving-Essen zu spendieren.‹
Und ich habe gesagt: ›Du machst Witze, oder?‹ Es war ein richtig böser Bube.
Und er sagt: ›Weißt du, warum? Diesen Knaben haben wir wahrscheinlich verloren, aber in der Familie sind noch sieben andere Kinder. Für die mussten wir etwas tun.‹
Ich hatte Tränen in den Augen. Dann hat er gesagt: › Und da sind noch die ganzen anderen Familien. Was sollen wir tun?‹ Es war 22 Uhr am Abend vor Thanksgiving, und ich habe gesagt, ›Dave, was hältst du davon, wenn ich zum Polizeipräsidenten gehe und sehe, ob ich 2000 Dollar bekomme, damit wir jeder Familie einen Truthahn kaufen können? Meinst du, wir schaffen das?‹« Also ging sie in die Zentrale und bat den Polizeipräsidenten um ein kurzes Gespräch. »›Das und das hat Dave Glassberg mit seinem Team gemacht. Ich möchte 125 Truthähne kaufen. Gibt es Geld für so was?‹ Und er hat Ja gesagt. Glassberg und seine Leute haben Überstunden gemacht. Sie haben gefrorene Truthähne und Kühlwagen aufgetrieben und sind noch in der Nacht von Tür zu Tür gefahren. Wir haben jeden in eine Tüte gesteckt und einen Zettel dazugelegt: ›Von unserer Familie für Ihre Familie. Happy Thanksgiving!‹ «
Jaffe sitzt in ihrem Büro im Polizeihauptquartier von Manhattan, als sie mir das erzählt. Sie trägt ihre Uniform, eine große und respekteinflößende Frau mit einer dichten schwarzen Mähne und einem unüberhörbaren Brooklyner Dialekt.
» Wir haben geklopft«, erzählt sie weiter. »Die Mutter oder Oma hat aufgemacht
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