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David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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riesigen Scheiterhaufen verbrannt wurden, stand kurz bevor. Die Institution, die die beiden Seiten während der Marching Season auseinanderhalten sollte, war die Polizei, die Royal Ulster Constabulary. Doch die RUC bestand fast ausschließlich aus Protestanten. Während die Loyalisten katholische Häuser in Brand steckten, ergriffen die Beamten der RUC »keine wirkungsvollen Maßnahmen«, wie ein von der britischen Regierung einberufener Untersuchungsausschuss befand. Journalisten berichteten, während der Ausschreitung seien Loyalisten auf Polizisten zugegangen und hätten diese gebeten, ihnen ihre Waffen zu leihen. Das war einer der Gründe, weshalb die britische Regierung die Armee nach Nordirland geschickt hatte, um dort als unparteiischer Schlichter zu fungieren. Doch auch England und Schottland waren mehrheitlich protestantisch, weshalb die belagerten Katholiken Nordirlands annehmen mussten, dass die SoldatenPartei für die Protestanten ergreifen würden. Als zu Ostern des Jahres ein großer protestantischer Umzug durch Ballymurphy führte, bildeten die Soldaten ein Spalier zwischen den Marschierenden und den Anwohnern – angeblich, um einen Puffer zu bilden. Doch die Soldaten standen mit dem Gesicht zu den Anwohnern auf dem Gehsteig und drehten den Loyalisten den Rücken zu – so, als müssten sie die Protestanten vor den Katholiken schützen und nicht umgekehrt.
    General Freeland versuchte, in Belfast Recht und Ordnung herzustellen. Doch er hätte sich zunächst fragen sollen, ob er dazu überhaupt die nötige Legitimität besaß. Denn die hatte er nicht. Er repräsentierte eine Institution, die in den Augen der katholischen Nordiren mit genau den Leuten sympathisierte, die im Vorjahr die Häuser ihrer Freunde und Verwandten niedergebrannt hatten. Aber wenn das Recht von jemandem durchgesetzt werden soll, der keine Legitimität besitzt, dann reagieren die Menschen nicht mit Gehorsam. Im Gegenteil: Sie wehren sich. 136
    Das große Rätsel des Nordirlandkonflikts ist, warum die Briten so lange brauchten, um das zu verstehen. Im Jahr 1969 kamen bei 73   Schießereien und 8   Bombenanschläge insgesamt 13   Menschen ums Leben. 137 Im darauffolgenden Jahr wollte Freeland hart durchgreifen und warnte, wer einen Molotowcocktail werfe, werde erschossen. Die Folge? Der Historiker Desmond Hamill schreibt:
    » Die IRA rächte sich, indem sie ankündigte, wenn Katholiken erschossen würden, dann würde sie Soldaten erschießen. Die Protestant Ulster Volunteer Force, eine illegale paramilitärische Einheit der Loyalisten, antwortete prompt und drohte, für jeden von der IRA erschossenen Soldaten einen Katholiken zu erschießen. Die Times zitierte einen Bürger von Belfast mit den Worten: ›Wer hier nicht verwirrt ist, der hat keine Ahnung, was wirklich los ist.‹ « 138
    Im Jahr 1970 kam es zu 213   Schießereien und 155   Bombenanschlägen mit 25   Toten. Die Briten blieben hart und schlugen härter zu. Im Jahr 1971 kam es zu 1756   Schießereien und 1020   Bombenanschlägen mit184   Toten. Die Briten erklärten, nun sei Schluss. Die Armee griff zu einer Internierungspolitik. Die bürgerlichen Rechte wurden außer Kraft gesetzt, das Land wurde von Soldaten überschwemmt, und die Armee erhielt das Recht, jeden Terrorverdächtigen zu verhaften und auf unbestimmte Zeit einzusperren, ohne Anklage und ohne Gerichtsverfahren. Unter dieser Politik wurden so viele junge katholische Männer verhaftet und interniert, dass in einem Viertel wie Ballymurphy jeder einen Bruder, Vater oder Cousin hatte, der im Gefängnis saß. Wenn so viele Menschen in Ihrer Umgebung hinter Gittern sind, erscheint Ihnen das Gesetz dann noch gerecht oder berechenbar? Haben Sie noch das Gefühl, gehört zu werden? Doch die Situation wurde nicht besser. Im Jahr 1972 kam es zu 1495   Schießereien, 531   bewaffneten Überfällen und 1931   Bombenanschlägen mit 497   Toten. Unter diesen 497   Toten war auch ein 17-jähriger Junge namens Eamon. Eamon war Rosemary Lawlors kleiner Bruder. 139
    »Eines Tages hat Eamon an die Tür geklopft«, erinnert sich Lawlor. »Er hat gesagt, ich würde gern ein oder zwei Tage bei uns unterkommen. Und ich habe gesagt: ›Warum kommst du nicht einfach?‹ Aber er hat gesagt: ›Wenn Mama das mitkriegt, bekommt sie einen Anfall.‹ Dann hat er mir und meinem Mann anvertraut, dass er von der Armee verfolgt wird. Wenn er vor die Tür gegangen ist, wenn er irgendwo um die Ecke gebogen ist, egal, wo er war,

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