Dawning Sun (German Edition)
bewegte, verwirrte Tom genauso wie der leicht ironische Unterton in der Stimme. Bevor Josh einfallen konnte, ihn eigenhändig auszuziehen, übernahm er es lieber selbst. Er wandte sich dabei um, schloss akribisch die Vorhänge, damit er sich nicht in den Scheiben spiegelte. Er wollte nicht, dass Josh ihn nackt sah. Zumindest nicht in Frontansicht.
Die Sachen passten gut, sie waren ungefähr gleich groß und ähnlich gebaut. Der dunkelgraue Trainingsanzug war allerdings ein seltsamer Anblick, war es doch Jahre her, dass Tom solch eine helle Farbe getragen hatte.
Schweigend hängte Josh die nassen Sachen über der Heizung auf, räumte dann die Bücher von seinem Bett und setzte sich mit erwartungsvoller Miene nieder.
Zeit, seine Mission zu beenden. Tom fühlte sich so kläglich, so dumm und klein wie nie zuvor in seinem Leben. Er klammerte sich an die Tasche. Was er hier wollte, wusste er sehr genau. Wie er das anstellen sollte, nicht. Wenigstens wurde ihm langsam wärmer.
Schließlich stolperte er zu dem Sitzkissen hinüber und ließ sich darauf fallen.
„Ich wollte dir etwas erklären“, flüsterte er. „Damit du … damit du nicht denkst …“ Unter Joshs abweisendem Blick versagte ihm die Stimme.
„Falls du mich mit Lügengeschichten einlullen willst, kannst du direkt wieder raus in den Sturm“, sagte Josh kalt. „Da hätte ich dich lassen sollen. Du bist ein kranker Psychopath, der sich dringend therapieren lassen sollte! Ich hasse dich und mich selbst, weil ich so blöd war, dir zu vertrauen!“ Mit geballten Fäusten starrte er auf ihn herab.
Beinahe wäre Tom aufgesprungen und fortgelaufen. Das hier war viel schlimmer, als er je befürchtet hatte! Doch er hörte das Schwanken in Joshs Stimme. Er erkannte das unsichere Flackern in seinem Blick. Josh hasste ihn nicht. Nicht vollkommen.
„Bitte lass mich dir etwas zeigen“, flehte er. „Es dauert nicht lange. Danach gehe ich und du wirst mich niemals wiedersehen.“
Josh fuhr zusammen.
„Du willst Selbstmord begehen?“
Oh, darüber hatte Tom in den letzten Tagen viel nachgedacht. Zu einem festen Entschluss war er nicht gekommen. Um Josh zu beruhigen, schüttelte er hastig den Kopf und öffnete die Tasche. Darin befanden sich seine beiden Zeichenmappen. Das Werk der letzten eineinhalb Jahre. Beide waren in etwa gleich voll und vor allem schwer. Mehr als fünfhundert Bilder, jedes einzelne ein Splitter seiner Seele.
Josh rutschte bis zur Wand zurück und hob abwehrend die Hände.
„Das schau ich mir nicht noch mal an!“, stieß er heiser hervor.
„Das musst du auch nicht. Bitte komm etwas näher. Bitte.“
Tom wimmerte fast, und das Beben seines Körpers war nicht mit der Kälte zu entschuldigen, die ihm nach wie vor in den Knochen steckte.
Misstrauisch beugte Josh sich vor, gerade weit genug, um auf die Mappen schauen zu können, die Tom auf den Boden gelegt hatte.
„Das hier ist die Mappe, die du bereits kennst.“ Er zeigte das Deckblatt in all seiner Pracht. Mit dem Zeigefinger fuhr er die einzelnen Buchstaben von ‚Dreams’ nach.
„Darinnen sind meine Träume. Aber eben nicht die schönen Träume, aus denen man niemals wieder erwachen will, sondern meine grauenhaftesten Albträume. Meine Ängste.“
„Warum dann solch ein Deckblatt?“, wisperte Josh und hockte plötzlich dicht neben ihm. „Es ist einfach unglaublich!“
„Das ist – nun – ich verstehe es als eine Art Wächter. Die Magie der Schönheit hält die Albträume gefangen. Es ist wie meine Seele. Diese grausamen Bilder sind darinnen, doch sie sind nur ein kleiner Teil von mir. Das Gute hält all das Grausige in seinem Bann.“
Tom musste jedes Wort einzeln hervorquälen. Es hörte sich so jämmerlich an!
„Ich weiß, es ist romantischer Kitsch. Pathetisch und albern. Es hilft trotzdem.“
Josh war bleich und gab nicht das geringste Zeichen, als wolle er Tom auslachen.
„Was ist in der anderen?“, fragte er gepresst, den Blick weiterhin schwer atmend auf dieses wunderschöne Bild gerichtet.
Mit bebenden Fingern öffnete Tom die zweite Mappe. Josh schnappte erschrocken nach Luft, als er den Dämon sah, der auf einem Drachen ritt. Dieses Bild war düster und verstörend, ein Versprechen von Angst und Schmerz.
Fast unsichtbar in eine Ecke gedrängt standen dort die krakelig geschriebenen Worte:
‚Hopes and Wishes’.
„Sieh sie dir an, wenn du magst. Sie sind nicht erschreckend“, murmelte Tom.
Beinahe ehrfürchtig schlug Josh das Deckblatt um. Minutenlang betrachtete er die
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