Dawning Sun (German Edition)
konnten, hielt ihn beschäftigt. Beschäftigt genug, um nicht über Tom nachdenken zu müssen.
„Darf ich reinkommen?“ Sascha hatte die Tür nur einen Spalt geöffnet.
„Klar. Seit wann fragst du um Erlaubnis?“
„Ich – keine Ahnung.“ Sascha setzte sich neben Josh auf das Bett.
„Das da hat gerade vor der Tür gestanden. Sonst wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass du hier sein könntest.“ Er hielt den Rucksack hoch, den Josh vergessen hatte. Nein, nicht vergessen – es war bloß unmöglich gewesen, ihn zu holen, denn dafür hätte Josh den Raum durchqueren und sich Tom nähern müssen.
Er wartete, ob dieser Gedankengang irgendwelche Ängste auslöste. Er fühlte – nichts. Völlig entspannt lächelte er seinen Bruder an und bedankte sich artig für den Rucksack, so, als hätte er ihn tatsächlich nur versehentlich zurückgelassen.
„Darf ich fragen, was geschehen ist?“, fragte Sascha behutsam. Er wirkte besorgt, aber nicht übermäßig. Das würde sich ändern, sobald er die Wahrheit erfuhr und das wollte Josh nicht. Auf gar keinen Fall.
„Gar nichts ist geschehen“, erwiderte er darum mit einer Gelassenheit, die er nicht vortäuschen musste.
„Tom und ich haben nicht gestritten.“
Nein, gestritten hatten sie nicht …
„Es ist bloß – es war mir zu viel und ich konnte merken, dass Tom auch Probleme damit hat. In dem winzigen Zimmerchen konnte er keine Pause machen, er war die ganze Zeit regelrecht gezwungen, sich um mich zu sorgen. Heute Morgen ging es mir gut, darum haben wir beschlossen, dass ich mich nach Hause schleichen will. Wir müssen für die Klausuren lernen, das geht nicht, wenn wir uns gegenseitig ununterbrochen runterziehen.“
Wow, das klang überzeugend! Josh hätte es beinahe selbst geglaubt und auch Sascha sah sofort ruhiger aus.
„Warum hast du dann dein Zeug stehen lassen?“
„Hm, nun ja … der Abschied war … gefühlsintensiv.“ Josh grinste verlegen. Scheiß auf den Journalismus, er sollte sich umgehend an der nächsten Schauspielschule anmelden!
„Okay. Ahm – Mama geht es ziemlich mies, darf ich ihr sagen, dass du hier bist?“
„Ich wohne in ihrem Haus, es wäre irgendwie unhöflich, dieses Detail zu verschweigen, meinst du nicht?“, fragte Josh ironisch. „Ja, sag es ihr. Wie ist denn der allgemeine aktuelle Stand der Dinge?“
„Keine Ahnung. Sascha hob ratlos die Schultern. „Hab seit gestern nichts mehr gehört. Papa hat ziemlich viel telefoniert und war glaub ich auch auf der Polizeistation, erzählt hat er aber nichts.“
Er wies auf die Bücher, die Josh bearbeitete. „Brauchst du Hilfe?“
„Nein, alles klar soweit.“ Josh lächelte, doch er war froh, als Sascha nun endlich aufstand und sich mit einem leichten Klaps auf seine Schulter von ihm verabschiedete. Er wollte weiterlesen. Dringend.
Wie erwartet dauerte es nicht lange, bis es das nächste Mal klopfte und sein Vater herein kam.
„Hi Papa.“
Josh wartete geduldig, bis sein Vater sich auf demselben Platz wie zuvor Sascha niedergelassen hatte. Ihm wandte er sich allerdings vollständig zu, während er bei Sascha mit dem Blick zum Fenster sitzen geblieben war. Er sollte nicht denken, dass Josh ihn nicht respektierte oder ihm nicht zu hundert Prozent zuhören wollte.
„Wie … wie geht es dir denn, Josh?“
Sein Vater war nervös. Es zerrte an Joshs Nerven, diesen Mann so um Worte verlegen zu sehen. Sein Vater war nicht oft für ihn da gewesen, stets hatte dessen Arbeit als Jurist bei einem Großkonzern und die immer größer werdenden Pflichten in der Politik im Vordergrund gestanden. Doch es hatte keinen Tag gegeben, an dem Josh nicht zu ihm hätte aufschauen können. Dieser erfolgreiche Mann, der souverän Verträge über Millionen Euros aushandelte, die Rechtsinteressen eines Wirtschaftsriesen vertrat und die finanziellen Geschicke einer ganzen Stadt leitete, dieser Mann war sein Vater. Auf jede Frage hatte er eine Antwort gewusst. War zu jedem Zeitpunkt Herr der Lage gewesen. Nie hatte er Josh bestraft, sondern stets mithilfe kleinerer und größerer psychisch-rhetorischer Tricks dafür gesorgt, dass Josh seine Schuld von selbst einsah. Auch, wenn er häufig genug ein paar Ohrfeigen bevorzugt hätte …
Diesen Mann so ratlos und verunsichert zu erleben war, als wäre der Olymp eingestürzt.
„Josh? Wie geht es dir?“
„Hm? Ganz gut, schätze ich.“
Toms Worte über die Hilflosigkeit der Eltern fielen ihm ein. Dass sie irgendeine Möglichkeit bräuchten, für ihn da sein zu
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