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Dawning Sun (German Edition)

Dawning Sun (German Edition)

Titel: Dawning Sun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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ihm mit höchster Aufmerksamkeit.
„Ich war zwölf, als mir klar wurde, dass ich keine Mädchen mag, Marco hingegen toll fand – auf anderen Ebenen als zuvor. Mit vierzehn war ich ihm rettungslos verfallen. Beim Taekwondo gibt es weniger Körperkontakt als etwa bei den chinesischen Kampfkünsten, der Einsatz der Beine ist wichtiger. Trotzdem kommt es immer mal zu Situationen, wo man den Gegner am Boden liegend hält. Ich fing an, solche Momente herbeizuführen. Jedes Mal, wenn ich da lag, von Marco unterworfen, ist für mich die Sonne aufgegangen. Es war himmlisch, und meine Träume, in denen er mir bei einer solchen Gelegenheit seine Liebe gestehen würde, wurden mit der Zeit intensiver.“
Unfähig, seine Stimme noch länger unter Kontrolle zu halten, musste Tom abbrechen. Er ließ sich von Josh streicheln, der ihm still beistand, ohne ihn zu bedrängen.
„Als ich sechzehn war, erhielt ich den schwarzen Gürtel“, fuhr er irgendwann fort. „Marco lobte mich vor all seinen Schülern, nannte mich seinen Stolz und seine größte Hoffnung. Das war der glücklichste Tag meines Lebens, ich habe bestimmt drei Meter über dem Boden geschwebt. Als er mir dann noch vorschlug, mit mir gesondert zu trainieren, damit ich die Trainerausbildung mit achtzehn schnell absolvieren und ihm mit den Anfängern auch vorher schon zur Seite stehen könnte, das war so genial …
Am nächsten Tag bin ich zu ihm geeilt, ich war so aufgeregt, so glücklich!“
Tom erzählte weiter, während ihn die Erinnerung an jenen Tag endgültig übermannte.
„Knie nieder, Tom.“
Gehorsam sank er auf die dünnen Matten. Sein Meister war das Zentrum seines Denkens. Ihm galt seine ganze Aufmerksamkeit, ihm vertraute er blind. Jeder Befehl war göttliches Gesetz. Er erwartete mündliche Instruktionen, was es als Trainer zu beachten gab. Tom hatte früher bereits gelegentlich bei kleinen Kindern ausgeholfen, die die ersten Schnupperstunden versuchten und wusste, wie schwierig diese Aufgabe sein konnte. Wie groß die Verantwortung war, dass die übereifrigen Kleinen weder ihren Trainingspartner noch sich selbst verletzten.
Überrascht blickte er auf, als Marco sich zu ihm herabbeugte.
„Ich habe dich beobachtet“, sagte die geliebte Stimme. Schuldbewusst überdachte Tom jede einzelne Nachlässigkeit, die er begangen haben mochte.
„Ich beobachte dich seit Jahren. Du siehst mich an, als wärst du ein Mädchen. Ist das so, Tom? Bist du in mich verliebt?“
Tom zögerte. Er durfte seinen Meister nicht anlügen. Er durfte keine Geheimnisse vor ihm haben. Doch wie sollte er dieses tiefste seiner Geheimnisse offenbaren?
„Ist es so? Antworte!“
Er zuckte unter dem Befehl zusammen und nickte schließlich beschämt.
„Ja, Meister.“
Marco hatte sich von den traditionellen koreanischen Begriffen abgewandt. Er vertrat die Ansicht, wenn er europäisches Taekwondo mit europäischen Schülern lehrte, dann sollte der Geist nicht mit ausländischen Begriffen verwirrt werden. In Marcos Schule wurde ausschließlich Deutsch gesprochen, er hatte alle Befehle sinngemäß übersetzt. Lediglich Schüler, die an internationalen Wettkämpfen interessiert waren, lehrte er die traditionellen Begriffe. Tom bewunderte die Fortschrittlichkeit und den Mut, neue Wege zu beschreiten. In diesem einen Moment allerdings wäre es ihm lieber gewesen, Marco wäre Koreaner, unfähig, mit ihm zu kommunizieren.
„Seinen Meister zu lieben und in jeder Beziehung des Lebens zu ehren ist eine Tugend, Tom. Schäm dich nicht dafür, sondern sei stolz.“
Tom wagte nicht, ihn anzusehen. Er wollte nicht wissen, ob die hellbraunen Augen ihn verspotteten. Ob Marcos Mund höhnisch verzogen war, trotz der aufmunternden Worte.
„Zieh dich aus.“
Dieser Befehl brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er konnte doch nicht …
„Zieh dich aus.“ Der Tonfall nahm eine gewisse Schärfe an. Eingeschüchtert legte er seine Trainingskleidung ab. Marco erlaubte ihm nicht, dafür aufzustehen. Gestern erst hatte er sich als Mann gefühlt. Als Held. Als jemand, der hoffen konnte, dem Meister eines Tages ebenbürtig zu werden. Heute fühlte er sich wie ein kleiner Junge, der demütig auf seine Strafe für eine Missetat wartete. Nackt am Boden zu knien, während sein angebeteter Meister voll bekleidet über ihm stand, entsprach nicht den rosigen Träumen seiner schlaflosen Nächte …
„Willst du das hier?“, fragte Marco und griff in einer sanften Geste nach Toms Kinn.
„Ja Meister. Ich will das schon so

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