Dawning Sun (German Edition)
dürfen.
Josh dachte fieberhaft nach, während sein Vater auf dem Bett herumrutschte und keine Worte fand.
„Papa, ich, hm … ich … brauche deine Hilfe.“
Sofort straffte sich die gebeugte Gestalt.
Gott, was? WAS? Was soll ich sagen?
Joshs Blick fiel auf die Schulbücher, und plötzlich wusste er, was er brauchte.
„Könntest du bitte mit Frau Fuchs reden? Ich will dieses Abi machen, um jeden Preis, und ich will es dieses Jahr machen. Es wäre nur unklug, wenn ich allzu bald wieder in der Schule auftauche.“
„Bist du sicher, dass du nicht besser doch das Jahr wiederholst? Es gibt viele andere Schulen, wo du diesen Druck nicht hättest, von allen als – als … Opfer angestarrt zu werden.“
„Nein, Papa. Ich bin fit. Ich hab alles Wissen drauf, in allen Fächern. Wenn ich warte, dann … es wäre der Tod für jegliche Motivation. Ich will vorwärts gehen, nicht rückwärts, verstehst du?“
„Ja, schon … Wie soll ich dir helfen?“ Der Vater nahm Joshs Hände und bedeckte sie mit seinen eigenen. Eine Geste, die er früher oft ausgeführt hatte. Damals waren seine Hände so viel größer als Joshs gewesen, jetzt hingegen schienen sie gleich.
„Ich dachte, vielleicht kann ich vom Unterricht freigestellt werden, bis zu den Klausuren. Es läuft sowieso nichts mehr, das ganze Übungsmaterial kann ich hier zu Hause bearbeiten. Es sind bloß noch zwei Monate Unterricht.“
„Ich werde mit der Direktorin reden, das verspreche ich.“
„Hast du Neuigkeiten? Sascha meinte, du wärst bei der Polizei gewesen.“
„Die konnten mir nichts sagen, weil du, nun ja, du bist volljährig, ich habe somit keine Berechtigung für all die persönlichen Fakten.“ Was seinen Vater immens zu quälen schien.
„Was möchtest du denn wissen?“
„Was immer du zu erzählen bereit bist. Sascha hat auch dichtgehalten, ich weiß praktisch nichts. Außer, dass es dieses grauenhafte Video gibt.“
Es klang eher traurig als vorwurfsvoll. Es klang nach einem verzweifelten Mann, der die Kontrolle verloren hatte. Nach einem Vater, der einsehen musste, dass seine Kinder ihn nicht mehr brauchten.
Josh wollte nicht über das reden, was er viel lieber vergessen hätte, doch er spürte, dass er sich mit ein wenig Überwindung viel Frieden erkaufen konnte. Also erzählte er, stark gerafft, unter Auslassung der schlimmsten Details und Toms Part lediglich angedeutet. Sein Vater hielt ihn dabei die ganze Zeit an den Händen und hörte schweigend zu.
„Ausgerechnet Leon … Das muss so furchtbar für dich sein.“
Josh nickte dankbar, als sein Vater ihn endlich losließ.
„Du möchtest allein sein?“
„Ja. Ich komm klar, Papa.“
Sein Vater lächelte müde und drückte ihm die Schultern. „Ich telefoniere gleich mit Frau Fuchs und danach sehen wir weiter. Hm, da wäre noch was …“
„Mama.“
Josh gab sich größte Mühe, jeglichen Anklang von Gereiztheit oder Ungeduld aus der Stimme zu lassen. Es gelang ihm nicht vollständig, wie er an der unglücklichen Miene seines Vaters ablesen konnte.
„Sie verkraftet das nicht. Du weißt, wie zerbrechlich und sensibel sie ist. Ich wünschte, Sascha hätte mir das Video unter vier Augen gezeigt, dann wäre es sicher nicht so schlimm mit ihr geworden. Sie war erleichtert zu hören, dass du wieder bei uns bist. Sei … sei geduldig mit ihr.“
„Vielleicht – falls sie fit genug ist, ich würde sterben für ein Stück von ihrem …“
Das Wort „Apfelkuchen“ lag ihm auf der Zunge. Zugleich war da das Bild von Tom, der hier in diesem Raum gesessen und hungrig über den Apfelkuchen hergefallen war.
„… Käsekuchen.“ Josh schaffte es haarscharf, rechtzeitig umzuschwenken. „Ein Stück von ihrem wundervollen Käsekuchen. Oder Donauwelle, die hatten wir so lange nicht mehr.“
Sein Vater musterte ihn befremdet, doch dann nickte er.
„Sie backt gerne, vielleicht hilft es ihr, wenn sie sich damit ablenken kann. Ich rede mit ihr. Es wäre bloß besser, wenn du ihr ein wenig aus dem Weg gehst, bis sie von selbst kommt. Sie ist so empfindsam, und ihre Nerven sind wirklich angeschlagen.“
„Ich bin hier. Hab genug zu tun.“
Josh hielt das Lächeln, bis die Tür sich hinter seinem Vater geschlossen hatte. Das war gar nicht mal schlecht gelaufen. Stückchen für Stückchen weiter arbeiten, irgendwann und irgendwie würde ganz gewiss alles gut werden …
31.
Hau ab!, dachte Tom zum tausendsten Mal.
Noch ist es nicht zu spät, lass diesen Wahnsinn, hau ab!
Seit gefühlten zehn Stunden
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