Dawning Sun (German Edition)
hockte er nun schon auf Joshs Balkon. Er fror erbärmlich, das Wetter gab einmal mehr sein Schlechtestes mit Sturmböen und Graupelregen. Der bloße Gedanke, durch dieses Unwetter zurück zu seiner Wohnung laufen zu müssen war genug, ihn an Ort und Stelle zu fesseln, obwohl er wirklich nicht hier sein sollte.
Du verletzt ihn nur noch mehr … Hau ab, lass ihn die Sache irgendwie überleben. Bleib eine schlechte Erinnerung, und lass ihn endlich los. Es hätte niemals so weit kommen dürfen.
Die Vorhänge waren zugezogen, doch dahinter brannte noch Licht, obwohl es bereits ein Uhr morgens war. Für Josh nicht weiter ungewöhnlich, wie Tom in den letzten Nächten festgestellt hatte. Immer wieder hatte es ihn hergetrieben. Er schlief nicht, aß kaum und schloss allmählich Frieden mit der Erkenntnis, dass er das Abi dieses Jahr nicht mehr schaffen würde, wenn sich nicht bald etwas änderte. Er bekam die Erinnerung nicht aus dem Kopf. Als er Josh am Boden hockend entdeckt hatte, wie er schluchzend die grauenhaften Zeichnungen betrachtete, bis er sich schließlich übergeben musste – das hatte Tom zerbrochen. In diesem Moment hatte er begriffen, dass seine Hoffnungen allesamt zerstört waren. Er selbst hatte sie zerstört, mit seiner gottverdammten Blödheit! Wie oft hatte er sich seither verflucht, dass er diese verdammte Zeichenmappe nicht fortgeräumt hatte! Niemals hätte Josh das ansehen dürfen!
Diese Angst in seinem Blick. Hätte Tom sich in einen Dämon verwandelt, wäre die Reaktion nicht anders gewesen. Dass es vorbei war, hatte Tom akzeptiert. Er begrüßte es, so war es besser für sie beide. Doch er wollte nicht, dass Josh Albträume wegen ihm leiden musste. Er wollte nicht, dass Joshs letzte Erinnerung an ihn von schierer Panik geprägt war. Das hatte ihn hierher gebracht. Immer wieder. Bislang hatte er jedes Mal feige gekniffen.
Es muss aufhören, ich kann nicht mehr … Noch eine solche Nacht überleb ich nicht … Los jetzt!
Rasch klopfte er gegen die Scheibe. Er kauerte weiterhin zusammengeduckt unter dem Fenster. Wenn Josh nicht die Tür öffnete, würde er ihn nicht sehen können.
Einige Minuten lang geschah nichts.
Vielleicht schläft er bei Licht? Oder er hat es nicht gehört. Der Sturm ist laut.
Mit zusammengebissenen Zähnen klopfte Tom noch einmal, diesmal kräftiger. Ein Schatten bewegte sich vor dem Vorhang, der nun beiseite gezogen wurde. Wie erwartet blieb die Tür geschlossen, Josh versuchte durch die Scheibe etwas zu erkennen.
Steh auf, du Feigling! Steh auf!
Sehr langsam erhob sich Tom und trat in Joshs Sichtfeld. Der erschrak sichtlich, taumelte sogar zwei Schritte zurück.
Was hast du erwartet? Stehst mitten in der Nacht wie das Monster aus dem billigen Horrorschocker vor seiner Tür!
Müde lehnte er sich gegen den Türrahmen. Ihm war kalt, er war vollkommen durchnässt, das alles hier war so sinnlos.
Josh kam näher, bis sie tatsächlich fast nur noch von einem fingerbreiten Stück Glas getrennt wurden. Einige Herzschläge lang, die sich bis in die Ewigkeit auszudehnen schienen, blickten sie einander in die Augen. Ihr Atem beschlug die Scheibe. Tom legte die offene Hand dagegen, wartete, hoffte – und jubilierte innerlich, als Josh die Geste nachahmte. So nah, ohne sich zu berühren … Er hätte heulen können. Es war schön und schrecklich zugleich.
Dann öffnete Josh die Tür. Nicht bloß einen Spalt, sondern weit genug, dass Tom durchtreten konnte.
Wollte er das?
„Nun komm schon, es ist eisig“, murmelte Josh.
„Ich bin nass, ich tropf dir alles voll.“
„Scheiß drauf.“ Josh packte ihn am Mantelärmel und zog ihn ins Zimmer. Er war komplett bekleidet, bemerkte Tom, als er unbeholfen mit dem Rücken an der Balkontür stand und nicht mehr weiter wusste. Das Bett war mit Lehrbüchern überladen. Wahrscheinlich war Josh beim Lernen eingeschlafen.
„Hier.“ Ein großes blaues Handtuch wurde in Toms Arme gedrückt. Zögerlich streifte er den Mantel und die klatschnassen Stiefel ab, die Josh auf einem zweiten Handtuch dicht bei der Heizung deponierte. Kopfschüttelnd musterte ihn Josh, marschierte zu seinem Kleiderschrank, zerrte einen Trainingsanzug heraus, dazu Boxershorts und Socken.
„Zieh dich um“, befahl er und warf ihm die Sachen zu.
Als Tom sich nicht rührte, kam er näher, nahm ihm erst das Handtuch wieder ab, danach die schwere Tasche, die Tom über der Schulter trug.
„Zumindest die Unterwäsche ist schwarz, reicht das nicht?“
Die Ruhe, mit der Josh sich
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