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Dawning Sun (German Edition)

Dawning Sun (German Edition)

Titel: Dawning Sun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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erste Zeichnung. Tom wagte nicht, ihn anzuschauen. Er wollte nicht seine letzten Hoffnungen zerstören. Nicht, solange er sich noch daran klammern konnte.
Er wusste, was Josh dort sah. Das Bild zeigte sie beide in inniger Umarmung, wie sie sich küssten. All seine Liebe, Sehnsucht, Verlangen, Zärtlichkeit, Hoffnungen und Wünsche waren mit hineingeflossen. Tom hörte ihn atmen, hektisch und ungleichmäßig. Folie knisterte, als Josh das zweite Bild aufschlug. Es zeigte ihn im Schlaf. Tom hatte es in der Nacht gezeichnet, bevor er völlig übermüdet zu ihm unter die Decke geschlüpft war und dabei vergessen hatte, auch die zweite Mappe wegzuräumen. Hätte er doch besser diese hier liegen lassen!
Josh blätterte nun rascher. Er musste bereits bei den älteren Bildern sein. Die vielen Studien von Josh beim Handballspiel, nachdenklich im Unterricht, verträumt in den Pausen, wann immer Leon gerade seine Aufmerksamkeit nicht gefordert hatte. Porträts seines lächelnden Gesichts, und Toms erste Vorstellungen davon, wie es wäre, Josh küssen zu dürfen.
„Tom …“, hauchte er schließlich. Nun musste er Josh ansehen. Zwei dunkle Augen schwebten kaum eine Handbreit vor ihm. Sie waren gefüllt mit Tränen, Sehnsucht und Fragen.
„Der andere Teil von mir“, flüsterte Tom. „Der Drachenreiter erinnert mich stets daran, dass es zwei Seiten gibt, eine dunkle und eine helle.“
„Und nach außen hin darf jeder nur die dunkle sehen? Trägst du deshalb immer schwarz?“
„Nein – oder – ich weiß es nicht, darüber habe ich nicht nachgedacht.“
„Warum diese Träume? Warum hast du Angst, du könntest mir so etwas antun?“
Tom krümmte sich schmerzlich, wandte sich ab von ihm.
„Ich kann nicht …“, stammelte er. Fast blind vor Tränen verstaute er die Mappen in der Tasche.
„Nein, bitte – Tom, tu das nicht!“
Josh fiel ihm um den Hals und presste sich mit aller Kraft an ihn.
„Geh nicht weg. Mach nicht wieder dicht und lass mich hier allein sitzen. Ich muss endlich verstehen, was los ist! Wurdest du selbst vergewaltigt? Ist es das?“
Aufgewühlt bis an die Grenzen seiner Selbstbeherrschung konnte Tom nichts weiter tun, als ihn zu halten. Wer dabei wen umklammerte, wer Trost gab oder empfing, wer den anderen hindern wollte, nicht zu entfliehen, war unmöglich zu sagen. Sie erstickten beide an den Tränen, die sie nicht weinen wollten, suchten beide Halt, um nicht unterzugehen.
Es war Josh, der sich als Erster fing. Er zog Tom mit sich zum Bett, sodass sie gemeinsam dort liegen konnten, die Körper weiterhin so eng aneinander gepresst und ineinander verknotet, wie es möglich war, ohne zu ersticken.
„Ich war fünf, als meine Eltern mich zum Taekwondo anmeldeten“, flüsterte Tom irgendwann in Joshs Haar hinein. „Ich war so klein und schmächtig und wurde im Kindergarten von den anderen Jungs als Mädchen verlacht. Damals hatte ich den ganzen Kopf voller hellblonder Locken.“
Er spürte Joshs Irritation und lachte leise. „Ja, wirklich, ich schwör’s dir. Mein Vater hatte es irgendwann satt, dass ich jeden Tag heulend aus irgendeiner Ecke gezerrt werden musste, wenn ich abgeholt werden sollte. Er brachte mich zuerst zum Friseur, der mich fast kahl schor – sie mussten mich mit drei Mann festhalten, ich hab die komplette Straße zusammengeschrien, mindestens zwei Tage geweint und wochenlang an Albträumen gelitten. Danach wurde ich zum Taekwondo gebracht. Das gefiel mir sofort! In der Gruppe der fortgeschrittenen Erwachsenen war ein junger Mann, der sich um uns Zwerge kümmerte. Marco.“
Tom schloss für einen Moment die Augen, als verhasste Erinnerungen hochspülten.
„Marco war toll. Geduldig, hat viel gelobt, selbst die scheueste kleine Seele dazu gebracht, sich zu wehren und mutig anzugreifen. Er hat uns zum Meditieren angehalten, was hier in Europa nicht unbedingt Standard ist, und war immer aufmerksam, dass sich bloß niemand verletzte. Marco war der Star des Vereins, er ging auf Wettkämpfe, wurde Europameister, machte irgendwann eine Zusatzausbildung und durfte von da ab auch an den Waffen ausbilden. Als er seine eigene Schule gründete, bin ich sofort zu ihm gewechselt. Er verlangte viel mehr Disziplin und Respekt als es in dem anderen Verein üblich gewesen war. Was er sagte, war Gesetz, wer nicht gehorchte oder einen Partner leichtsinnig verletzte, wurde sofort der Schule verwiesen.“
Tom atmete tief durch. Das alles war lange her. Ein anderes Leben. Es war vorbei … Josh lauschte

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