Dead Beautiful - Deine Seele in mir
sie zwei Todesursachen haben, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingetreten sein sollten und von denen die zweite »Beerdigung« hieß?
Ich drehte das Blatt um. Plötzlich blickte mir Rektorin van Laark ins Gesicht. Es war eine Kohlezeichnung, die sie im Wald vor einem tiefen Loch zeigte. Das Wächterkomitee stand ernst neben ihr, sämtliche Augen auf BrandonBell gerichtet, der den leblosen Körper von Cassandra Millet in den Armen hielt und ihn in der Grube versenkte. Zum Bildrand hin war alles nachtschwarz schraffiert. In einer Ecke war die Zeichnung signiert: Minnie Roberts. Ich erschauerte. Sogar als Zeichnung war die Szene gespenstisch.
Schließlich schlug ich Benjamins Ordner auf.
BENJAMIN GALLOW
Größe: 180 cm
Gewicht: 74 kg
Haarfarbe: Braun
Geburtstag: 18. 9. 1994
Staat: Pennsylvania
Eltern: Karen Gallow, Lehrerin; Bruce Gallow,
Zahnarzt; VERHEIRATET
Geschwister: Keine
Status: PLEBEIER, VERSTORBEN
Todestag: 12. 5. 2009
Todesursache: Basium Mortis
Ich musste die letzte Zeile zweimal lesen, bis ich begriff, was da stand. Basium Mortis. Wie ein Fluch rollten mir die Worte von der Zunge. »Kuss des Todes«, übersetzte ich. Oder vielleicht »Todeskuss«. Mein Hirn spielte wie rasend Erklärungen durch, wie es ein dermaßen kryptischer Begriff in ein offizielles Schuldokument geschafft haben konnte, aber keine davon ergab Sinn. Ich musste falsch übersetzt haben; vielleicht war es ein medizinischer Fachbegriff wie rigor mortis. Ich wühlte mich durch die restlichen Papiere: seine Notenspiegel, Informationen über seine Eltern undFreunde, bis ich schließlich die Todesurkunde des Krankenhauses gefunden hatte. Sie war auf den 12. Mai 2009 datiert. Todesursache: Herzversagen. Was definitiv nicht dasselbe war wie Basium Mortis .
Dahinter lag ein Umschlag, der mit einer Büroklammer verschlossen war und die Aufschrift GALLOW trug. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich ihn öffnete.
Er enthielt eine Sammlung von Fotos, aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen, aber von nur einem einzigen Motiv: Benjamin Gallows Körper, blass und tot, hingestreckt auf dem Waldboden. Die erste Aufnahme war aus der Ferne und so dunkel, dass ich außer seiner erschreckenden Blässe und den mit gelbem Absperrband umwickelten Bäumen im Hintergrund kaum etwas erkennen konnte. Ich nahm das nächste und dann das übernächste, ein jedes näher und detaillierter als sein Vorgänger, bis ich schließlich seinen Körper genau vor mir hatte.
Mein Herz raste noch schneller, so überraschend bekannt schien mir das Bild. Benjamin trug noch seine Schuluniform. Das eine Ende seiner losen roten Krawatte hing ihm über die Schulter, das andere war ihm gewaltsam in den Mund gestopft. Ich wusste, wo ich das schon mal gesehen hatte. Seine Haut wirkte alt und da war nichts von dem aufgeweckten, spitzbübischen Gesicht, das mir alle beschrieben hatten. Sogar sein braunes Haar war an den Schläfen ein bisschen angegraut. Unter seinen geschlossenen Lidern hingen violette Tränensäcke. Je länger ich hinsah, desto mehr verschwamm das Bild, bis ich schließlich auf meine Eltern hinunterblickte, tot im Wald, ihre Münder vollgestopft mit weißem Stoff.
Elftes Kapitel
Was letzten Frühling geschah
D ie Dinge, die man sich am meisten wünscht, entpuppen sich komischerweise oft als genau die Dinge, die man am liebsten nie gesehen hätte. Da war es mir gerade annähernd gelungen, all die grausigen Einzelheiten rund um den Tod meiner Eltern aus meinem Kopf zu verbannen, schon katapultierte mich Benjamins Akte in jene heiße Sommernacht zurück. Ich saß auf dem Boden, umschlang meine Knie und zwang mich, nicht loszuheulen. Schließlich hatte ich mich so weit im Griff, dass ich zum Unterricht gehen konnte. Ich lief rasch zum Haus Horaz hinüber, mit einem Zwischenstopp in der Bibliothek. Dort versteckte ich die Mappen im dritten Stock zwischen zwei Folianten, froh, sie wenigstens für den Augenblick los zu sein. Wenn diese Akten irgendetwas bewiesen, dann eines: Cassandra und Benjamin waren beide ermordet worden und ihr Tod hatte etwas mit der Ermordung meiner Eltern zu tun. Aber wer steckte dahinter? Mir fiel ein, was Eleanor an unserem ersten Tag über das Gottfried gesagt hatte. Die Geheimnisse, die nicht ans Tageslicht kommen, sind gut gehütet.Wahrscheinlich nicht ohne Grund. Das Problem war nur, dass dieses Geheimnis jetzt mich betraf.
Außerdem musste ich mich noch vor Mrs Lynch in Acht nehmen. Daran, die Akten in meinem Zimmer aufzuheben,
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