Dead Man's Song
aufgefunden worden war. Carella und Meyer verließen das Revier im Laufschritt und gelangten auf den Parkplatz hinter dem Gebäude. Ehe sie auch nur ein halbes Dutzend Schritte gemacht hatten, waren sie schon bis auf die Haut durchnäßt. Regen trommelte auf das Wagendach. Regen prasselte auf Carellas Schädel, während er den Schlüssel auf der Fahrerseite ins Türschloß bugsierte, Regen spritzte ihm in die Augen, Regen tränkte die Schultern seines Mantels und klatschte ihm das Haar auf die Stirn. Meyer stand geduldig mit hochgezogenen Schultern und als massiger Schatten auf der Beifahrerseite des Wagens, die Augen zusammengekniffen und allmählich in dem gnadenlosen Wolkenbruch absaufend.
»Du hast alle Zeit der Welt«, meinte er.
Carella brachte endlich den Schlüssel ins Schloß, öffnete die Tür, warf sich in den Wagen und griff über den Beifahrersitz, um die andere Tür für Meyer zu entriegeln.
»Endlich!« sagte Meyer und zog die Tür hinter sich zu.
Beide Männer saßen für einen Moment atemlos da, eingeschlossen in einen rappelnden Kokon, dessen Windschutzscheibe und Seitenfenster im Regen zerflossen. Hinter ihnen verströmten die Lampen des Reviers einen gelblichen Schein, verhießen Behaglichkeit und Wärme, seltsame Vorzüge, die man nicht unbedingt mit diesem Ort in Verbindung brachte. Meyer verlagerte sein Gewicht und holte ein Taschentuch aus seiner Gesäßtasche. Er trocknete sich damit das Gesicht und den kahlen Schädel ab. Carella nahm mehrere Dunkin’-Donut-Servietten aus der Türablage und versuchte damit, Wasser aus seinen triefenden Haaren aufzusaugen. »Junge, Junge«, sagte er und fischte weitere Papierservietten aus der Tür.
Die beiden Männer in ihren schweren Mänteln füllten die vorderen Sitze des »Firmenwagens«, wie sie ihn scherzhaft nannten, vollständig aus. Sie arbeiteten unregelmäßig zusammen, wobei die beiden Phänomene Dringlichkeit und Zufall häufig weitaus wirkungsvoller bestimmten als jeder Dienstplan, wer sich jeweils gerade im Dienstzimmer aufhielt, wenn das Telefon klingelte. Sie hatten den Haie-Notruf gestern morgen gemeinsam entgegengenommen. Es war nun ihr Fall, bis sie eine Verhaftung vornahmen oder sich pensionieren ließen oder ihn unter der Rubrik »Ungelöste Fälle« ablegten.
Carella ließ den Wagen an.
Meyer schaltete das Funkgerät ein.
Das ständige Geschnatter der Polizeidialoge kämpfte gegen den trommelnden Regen. Die altersschwache Heizung brauchte einige Zeit, um Wärme in den Wagen zu blasen. Ihr blechernes Klappern war eine neue Stimme in dieser Sinfonie aus trommelndem Regen, Polizeistimmen aus dem Funkgerät und dem Zischen von Reifen auf schwarzem Asphalt. Cops im Einsatz lauschten ständig mit einem Ohr, warteten darauf, die Stimme der Zentrale zu hören, wenn sie speziell ihren Wagen rief, und warteten vor allem auf die alarmierende Meldung, daß ein Kollege in Schwierigkeiten war, ein Signal, auf das jeder Wagen in der näheren Umgebung reagieren würde. Während der Regen nicht nachlassen wollte und das Heizgebläse schwallweise heiße Luft in ihre Gesichter und auf ihre Füße schleuderte, unterhielten sie sich über Carellas Geburtstagsfeier Anfang des Monats - ein Ereignis, das er lieber vergessen hätte, da er an diesem Tag vierzig Jahre alt geworden war - und über die Probleme, die Meyer mit seinem Schwager hatte, der Meyer noch nie besonders gemocht hatte und der ständig versuchte, ihm eine weitere Lebensversicherung zu verkaufen, weil er doch einen so gefährlichen Beruf ausübte.
»Glaubst du, unser Beruf ist gefährlich?« fragte er.
»Gefährlich, nein«, sagte Carella. »Riskant.«
»Riskant genug, um etwas abzuschließen, das er Einsatz-Versicherung nennt?«
»Nein, das finde ich nicht.«
»Ich hab mir letzte Woche ein Video ausgeliehen«, erzählte Meyer. »Darin stirbt Robin Williams und kommt in den Himmel. Einer der miesesten Filme, die ich je im Leben gesehen habe.«
»Ich gehe nie in Filme, in denen jemand stirbt und in den Himmel kommt«, sagte Carella.
»Du solltest nie in einen Film gehen, in dessen Titel das Wort >Traum< vorkommt«, sagte Meyer. »Sarah liebt diese Filme, in denen Filmstars sterben, damit normale Sterbliche sie nicht sehen können, und weiter durch die Gegend laufen. Du hast also noch nie davon gehört, was?« sagte Meyer.
»Noch nie«, antwortete Carella und lächelte. Er dachte, daß man, wenn man lange genug mit jemandem zusammenarbeitete, irgendwann seine Gedanken lesen
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