Deadline - Toedliche Wahrheit
jetzt nicht in Stimmung, George.« Das Rauschen des Windes riss mir die Worte von den Lippen, doch darauf kam es nicht an; sie hörte mich in jedem Fall. Sie hörte mich immer, selbst wenn ich kein Wort sprach.
Ich habe ihn auch verloren.
»Er ist unter meinem Kommando gestorben, George. Unter meinem Kommando. Das hätte nicht passieren dürfen.«
Ein Ton verbitterter Belustigung lag in ihrer Stimme, als sie antwortete: Ach so, die Leute sollen also nur sterben, wenn ich das Kommando habe?
Darauf wusste ich keine Antwort, weshalb ich einfach gar nichts sagte. Sie verstand und schwieg ebenfalls, während das Motorrad die Kilometer zwischen uns und unserem Ziel fraß. Den Sendewagen konnte ich im Rückspiegel sehen, er folgte mir dichtauf, aber mit dem nötigen Sicherheitsabstand. In keiner der beiden Fahrtrichtungen waren andere Autos auf dem Highway zu sehen. Ein gelbes Reflektorschild blitzte im Scheinwerferlicht auf: ACHTUNG – WILDWECHSEL .
Rotwild kann deutlich schwerer als fünfundzwanzig Kilo werden und fällt damit in den Bereich, in dem es zu einer Kellis-Amberlee-Vermehrung in einem Organismus kommen kann. Wir können solche Tiere nicht einfach völlig ausrotten – abgesehen von den ökologischen Bedenken dagegen, handelt es sich um Pflanzenfresser, was bedeutet, dass ihre Nahrungsquelle nicht verseucht ist und sie sich vermehren wie die Riesenkarnickel. Dann und wann schlägt jemand ein Gesetz vor, das es erlaubt, die Wälder mit Brandbomben einzudecken und das Wildproblem so ein für alle Mal zu lösen, nur um sofort von allen niedergebrüllt zu werden, von den Naturschützern bis zur Holzindustrie. Ich habe keine Meinung zu dem Thema. Aber mir fällt auf, dass die Kinder früher einmal geheult haben, wenn Bambis Mutter stirbt. George und ich haben beide den Atem angehalten und laut losgejubelt, als sie nicht wieder zum Leben erwacht ist und versucht hat, ihr Kind zu fressen.
Oben rechts in meinem Visier begann ein kleines, orangefarbenes Licht zu blinken, was bedeutete, dass der Sendewagen versuchte, eine Verbindung zu mir herzustellen. Wollte ich mit jemandem von meinen Leuten reden? Nein. Nein, das wollte ich nicht. Hieß das, dass ich es mir leisten konnte, den Anruf zu ignorieren?
Unglücklicherweise nicht. Ich unterdrückte den Drang, Gas zu geben und so schnell wie möglich meiner Verantwortung zu entfliehen. »Anruf annehmen«, sagte ich.
Kurz darauf erklang Becks Stimme in meinem Ohr. Wegen des Fahrtwinds, der über meinen Helm peitschte, verstand ich sie nur schwer. »Shaun, bist du das?«
»Nein, hier spricht der Osterhase«, sagte ich. »Was denkst du denn, wer bei mir rangeht? Was willst du, Becks? Wir sind noch lange nicht bei Maggie.«
»Genau darum geht es mir. Wir hatten keine Zeit, die Fahrzeuge für einen weiteren Ausflug vorzubereiten, ehe wir aus … « Sie kam ins Stocken und verschluckte den Rest des Satzes. Als sie wieder zu sprechen begann, klang ihre Stimme leiser, sodass ich sie durch das Rauschen des Windes noch schlechter verstand. »Ich meine, bei uns hier sieht es nicht so gut aus mit dem Benzin. Ich weiß ja nicht, wie es bei dir ist, aber wir kommen noch etwa siebzig Kilometer weit, höchstens, ehe wir in der Klemme stecken.«
Scheiße! »Was sagt das GPS ?«
»Dreißig Kilometer weiter gibt es eine Raststätte, die für akkreditierte Journalisten geöffnet ist und eine gute Sicherheitseinstufung hat. Sauber, verlässliche Bluttests, keine Ausbrüche in den letzten neun Jahren.«
Bei unserem Glück hat der letzte Punkt sich demnächst erledigt.
»Wahrscheinlich«, sagte ich erleichtert. George hatte geschwiegen, seit ich ihr gesagt hatte, dass ich jetzt nicht in der Stimmung sei, und ich hatte die irrationale Angst gehabt, dass das Trauma, einen weiteren Menschen zu verlieren, der mir etwas bedeutete, in Kombination mit meiner Wut irgendwie mein Gehirn repariert hätte, sodass ich wieder den üblichen Standards für geistige Gesundheit gerecht würde. Scheiß auf geistige Gesundheit! Ich will nicht, dass sie aufhört, mit mir zu reden. Das würde mich wirklich in den Wahnsinn treiben.
»Shaun? Was war das?«
»Nichts weiter, Becks. Das mit der Raststätte klingt gut. Wie wär’s, wenn du schon mal dort anrufst und uns ankündigst?« Wenn die Raststätte auf unser Eintreffen vorbereitet war, würde bereits jemand am Tor warten, um uns Blutproben abzunehmen und uns reinzulassen. Das würde sehr viel schneller gehen und bequemer sein, als auf der Auffahrt zu
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