Deadwood - Dexter, P: Deadwood
als Doc Pierce und seine Neffen Bills Körper der Erde übergaben, schlief Charley Utter in Tigerville, zwischen Hill City und Mystic, in Erwartung, den letzten Abschnitt gegen den Clippinger Pony-Express zu reiten.
Der Gottesdienst wurde von Prediger Smith abgehalten, assistiert von Malcolm Nash, den er für seinen Jünger hielt. Der Junge stand still neben dem Prediger und starrte in den Himmel, er war so in den Worten des Predigers verloren, dass ihm gar nicht bewusst war, für wen sie gesprochen wurden, dabei war er von allen, die an dem Gottesdienst teilnahmen, der Einzige, der Bill überhaupt gekannt hatte.
TEIL ZWEI
CHINA DOLL
1876
Sie verfolgte die Beerdigung vom Fenster ihres Zimmers aus. Es war Nachmittag, und sie durfte nicht hinaus. Die alte Frau, die hinter ihr stand, kämmte ihr das Haar und erzählte von Familienproblemen. Der Atem der alten Frau war wie Sumpfgas, und sie redete ununterbrochen. Sie war die einzige Bedienstete, die Tan You-chau ihr gewährte.
Es war die Beerdigung von Wild Bill. Sie wusste, dass er von seinen Leuten als Soldat geehrt wurde. Aber sie wusste nicht, welchen Krieg er gewonnen oder wen er getötet hatte. Die alte Frau erzählte ihr an einem Tag dies und am anderen das. Sie tat so, als verstünde sie diesen Ort, doch sie log aus Gewohnheit, wie es Frauen ihres Standes eben taten, und wusste selbst nicht, was die Wahrheit war und was sie erfunden hatte.
So hatte die alte Frau ihr zum Beispiel erzählt, der rote Mann hätte Kasten, den größten weißen Krieger, und Hunderte seiner Männer besiegt, und dass der weiße Mann um ihn trauerte und Rache geschworen hätte. Doch sie beobachtete den weißen Mann jeden Nachmittag von ihrem Fenster aus, während die alte Frau ihr das Haar kämmte, und es stimmte einfach nicht.
Trauernde Menschen lachten nicht auf der Straße oder gingen ungeniert ihren Geschäften nach. Sie verglich ihre eigenen Rachegefühle mit denen der anderen und erkannte, dass die der anderen nicht aufrichtig waren. Kein klares Vorhaben, sondern nur ein Trost. »Schweig still«, sagte sie nun, und die alte Frau verstummte. Sie brachten den Sarg aus dem Camp, wo der Mann sein Schlafquartier gehabt hatte. Vier Männer hoben die Kiste auf einen offenen, von Pferden gezogenen Wagen und fuhren die Straße herauf.
Zum Friedhof waren es dreißig Gehminuten in südöstlicher Richtung, dann folgte ein mühsamer Anstieg von rund hundert Metern einen der Berge hinauf, welche die Stadtgrenze markierten. Sie war selbst schon dort gewesen auf der Suche nach einem angemessenen Ort für die Beisetzung ihres Bruders Song. Nachdem sie zunächst Herz, Augen und die Knochen seiner Arme nach Hause geschickt hätte. Es war ihr damals egal gewesen, dass Tan You-chau die Bestattung ihres Bruders untersagt hatte.
Die Bestattung war jetzt nicht mehr nötig. Der in dem Sarg hatte – zusammen mit einem kleineren Mann – Songs Leichnam in den Ofen geschoben, und was sie dann zurückbekommen hatte, hätte gut und gerne auch von einem Hund stammen können. Es gab weder ein Herz noch Augen oder Knochen, die nach Hause geschickt werden konnten. Sie hatte sich an diesen Ort begeben, um die Schulden ihres Bruders zu begleichen, doch sie war zu spät gekommen. Und auch sie würde niemals wieder nach Hause zurückkehren.
Sie hielt auf der Straße nach dem Kleineren Ausschau, weil sie wissen wollte, ob es ihn schmerzte, dass Wild Bill gestorben war. Sie hatte keine weiße Haut und würde ihre Rachegefühle nicht einfach beiseitelegen können.
Die alte Frau zog den Kamm durch ihr Haar, sie begann auf der Kopfhaut und zog ihn langsam ihren Rücken hinunter. Wieder fing sie an, von ihrem Mann zu erzählen, der seinen Beruf aufgegeben hatte und seine Zeit nur noch in Opiumhöhlen verbrachte. »Er war schon immer ein Träumer«, sagte sie, »und jetzt träumt er von seinen Träumen. Es ist nicht meine Schuld, dass er sich so verändert hat.«
»Schweig still«, sagte sie, und die alte Frau verstummte wieder. Zunächst kämmte sie das Haar behutsam und sorgfältig durch, bis es wieder glatt fiel, dann ging sie entschiedener zu Werke, wobei sie mit jeder Bewegung vernehmbar grunzte. China Doll machte keinen Versuch, sie zu maßregeln. Es war nicht möglich, hier alles so zu handhaben, wie es in Toishan gewesen war. Sie dachte an Tan You-chau, der nur diejenigen Sitten und Gebräuche beibehielt, die ihm in den Kram passten. Er trug die Kleidung des weißen Mannes, aber er hatte Song wegen einer
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