Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
entscheidenden Moment dann doch immer ein. Am Abend zuvor hatten wir Kinder immer ein Glas Milch und ein paar Kekse als Stärkung für Santa Claus für seine anstrengende Reise ins Wohnzimmer gestellt. Wenn ich am nächsten Morgen wach wurde, waren die Kekse weg, die Milch ausgetrunken, und unterm Weihnachtsbaum lagen unsere Geschenke. Dabei hatten wir gar keinen Kamin, durch den Santa ins Haus rutschen konnte …
Da Peter und ich nun aber in Deutschland leben, müssen wir abwägen, nach welcher Tradition wir eigentlich feiern wollen. Da mein Mann beruflich stark eingespannt ist und er meistens erst am 23. Dezember beginnt, sich über Weihnachtsgeschenke Gedanken zu machen, bleibt mir die gesamte Organisation und auch die Philosophie dahinter überlassen. So kann ich sicherstellen, dass Santa Claus jedes Jahr durch unseren Kamin steigt.
Das Christkind dagegen macht an Heiligabend einen Bogen um unser Haus. Ich finde es auch etwas zu jung, um in derganzen Welt Geschenke zu verteilen. Dennoch tut es mir ein bisschen leid für meinen Mann, dass er den deutschen Christkindbrauch nicht zusammen mit seiner Tochter erleben kann.
Wenn die Weihnachtszeit vorüber ist und das Jahr langsam zu Ende geht, ist das für viele Menschen ein willkommener Anlass, sich über die Vergangenheit und die Zukunft Gedanken zu machen. Lange Zeit machte ich mir so gut wie gar keine Sorgen über die Zukunft, alles schien, wenn auch nicht immer in geraden, so doch in geordneten Bahnen zu verlaufen. Aber das Jahr 2001 wurde für mich und unzählige andere Menschen zum Jahr des Zweifels. War unser bis dahin so sicheres und vorhersehbares Leben plötzlich Vergangenheit?
18 DER 11. SEPTEMBER
UND DIE FOLGEN
Es war 14.50 Uhr. Dienstag, der 11. September 2001. Ich wollte gerade das Haus verlassen, um meine Tochter aus der Schule abzuholen, als das Telefon klingelte. Es war Peter, der irgendwie anders klang als sonst. Mit hastiger Stimme forderte er mich auf, den Fernseher anzuschalten, ein Flugzeug sei gerade in das World Trade Center gekracht. Ich schaltete den Fernseher an und sah ungläubig und voller Entsetzen live auf CNN, wie das zweite Flugzeug in den Südturm raste. Wenige Minuten später war Peter auf Sendung. Es war der dunkelste Augenblick in meinen fünfzehn Jahren hier in Deutschland. Ich hatte Angst um meine Heimat, um meine Verwandten und Freunde, die dort lebten. Sofort rief ich meine Mutter an, um mich nach meinem Bruder zu erkundigen, der hin und wieder beruflich in New York zu tun hat. Erleichtert hörte ich, dass er an diesem Tag nicht dort war. Dann musste ich erst mal das Haus verlassen und meine Tochter aus der Schule abholen.
Jeder braucht in solchen Stunden jemanden, an dem er sich festhalten kann. Für mich war es meine amerikanische Bekannte Carolyn, die zusammen mit ihren beiden kleinen Kindern von der Schule mit mir nach Hause fuhr. Ein Glück, dass wir uns für diesen Nachmittag verabredet hatten; es wäre nämlich schrecklich gewesen, diese Stunden alleine erleben zu müssen.
Früher konnte jeder Amerikaner sagen, wo er war und was er gerade tat, als Präsident John F. Kennedy 1963 erschossenwurde. Heute können Sie jeden US-Bürger fragen, wo er gerade war, als sich die beiden entführten Flugzeuge am 11. September 2001 in das World Trade Center bohrten, und er wird Ihnen ebenso genau Antwort geben können.
Ich werde nie vergessen, dass Carolyn gemeinsam mit mir diese furchtbaren Stunden vor dem Fernseher verbrachte. Während die Ereignisse ihren Lauf nahmen, gaben wir uns große Mühe, dass die Kinder beschäftigt waren – und zwar fernab des Wohnzimmers, wo wir im Fernsehen live sahen, wie die Zwillingstürme einstürzten. Die beiden hätten vielleicht mit den schrecklichen Bildern nichts anfangen können, aber unsere schockierten Gesichter hätten sie sicherlich beunruhigt.
Angesichts des Dramas, das sich vor unseren Augen in New York abspielte, spürte ich große Sehnsucht, meinen Mann und meine Tochter einfach nur bei mir zu haben und festzuhalten. All die vielen Menschen, die ihre Liebsten vermissten, ohne zu wissen, ob sie sie jemals lebend wiedersehen würden, erweckten automatisch das Bedürfnis in mir, die eigenen Liebsten ganz fest zu umarmen und nie wieder loszulassen.
Mein Mann war an jenem Tag jedoch bis spät in die Nacht auf Sendung und kam nur für ein paar Stunden zum Schlafen nach Hause, da er am nächsten Morgen wieder sehr früh ins Studio musste. Ich hatte dafür Verständnis,
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