Deathbook (German Edition)
Feierabend gemacht hatte. Er lag schräg versetzt hundert Meter vom Tattoo-Studio entfernt und bot mir eine passable Sicht. Davor war ich zwei Stunden umhergelaufen, immer mal wieder an dem Studio vorbeigekommen und hatte Blicke hineingeworfen. Mario hatte gearbeitet. Gestochen, wie Caro es formuliert hatte. Kunden waren gekommen und gegangen. Auf den ersten Blick also ein ganz normaler Arbeitstag.
Zwischendurch war ich in einem Café gewesen und hatte etwas gegessen und getrunken. Aber von dort aus hatte ich den Laden nicht einsehen können, deshalb war ich nicht lange geblieben, höchstens eine Viertelstunde. Alles in allem lungerte ich bereits seit vier Stunden hier herum, und die Warterei zerrte an meinen Nerven. Ein paarmal war ich schon drauf und dran gewesen abzubrechen.
Gut, dass ich es nicht getan hatte. Möglicherweise ging Mario nur nach Hause, aber das glaubte ich nicht. Über seinem Studio befanden sich zwei Wohnetagen. Die Eingänge lagen auf der Rückseite des Gebäudes, und während meiner Streifzüge hatte ich einen Blick auf die Briefkästen geworfen. Auf einem stand Böhm. Es lag auf der Hand, dass Mario dort wohnte.
Im dunklen Bereich zwischen zwei Straßenlaternen wurde Mario zu einem Schatten zwischen Schatten. Ich musste hinterher, sonst würde ich ihn aus den Augen verlieren.
Ich entschied mich, ihm mit dem Wagen zu folgen, startete den Motor und rollte langsam auf die Straße. Zum Glück herrschte um diese Zeit kaum noch Verkehr. Ich konnte Schritttempo fahren, ohne jemanden zu belästigen. Mario hatte einen kräftigen, weit ausholenden Schritt und ging zügig. Als er das nächste Mal im Schatten verschwand, konnte ich gerade noch erkennen, dass er nach rechts abbog. Langsam näherte ich mich der Stelle und entdeckte ein Seitensträßchen. Während ich langsam daran vorbeirollte, sah ich Mario die enge Gasse hinuntergehen.
Hinterherfahren ging nicht. Er würde mich bemerken. Also ließ ich meinen Wagen am Straßenrand stehen und setzte die Verfolgung zu Fuß fort.
Die enge Sackgasse war mit Kopfsteinen gepflastert. Hausfassaden ragten rechts und links auf. Jedes Geräusch hallte hier weder. Weit vor mir sah ich eine Gestalt, von der ich annahm, dass sie Mario war. Ich hielt mich dicht an den Häusern und folgte ihm.
Plötzlich war er weg.
Einfach verschwunden.
Ich lief los und hörte ein Geräusch. Ein metallenes Klappern. Dann wurde ein Motor gestartet. Erst als ich die Reihe von Fertiggaragen sah, begriff ich, aber da war es schon zu spät. Ein Auto setzte rückwärts aus einer der Garagen.
Verflucht! Er würde mich entdecken. Ich sah mich um, suchte fieberhaft nach einem Versteck und entdeckte einen kaum schulterbreiten Spalt zwischen zwei Häusern. Dorthinein quetschte ich mich. Spinnenweben legten sich über mein Gesicht. Ein ekliges Gefühl. Im nächsten Moment fuhr der Wagen an mir vorbei. Mario saß am Steuer. Ich verließ den engen Spalt und lief los. Oben an der Einmündung bog der schwarze Kombi nach rechts auf die Landstraße ab. Als ich meinen eigenen Wagen erreichte, war er schon nicht mehr zu sehen.
M anuela hätte sicher noch eine Weile gewartet – vielleicht auch nicht, schließlich war ihre Sorge immer weiter angewachsen –, aber da Kieling sie anrief, um zu erfahren, wo sie mit dem Schreiberling bliebe, blieb ihr nichts anderes übrig, als die bittere Wahrheit auszusprechen:
Er ist nicht da.
Andreas war nicht verhaftet und stand nicht unter Hausarrest, er konnte tun und lassen, was er wollte, und so lange fortbleiben, wie er wollte. Angesichts der Umstände jedoch und weil er gebeten worden war, sich zur Verfügung zu halten, sprang Kieling auf diese Wahrheit an wie eine Mücke auf den Geruch eines Menschen.
«Sie bleiben so lange dort, bis er auftaucht. Außerdem schicke ich noch eine Streife und stelle einen Antrag auf Haft- und Durchsuchungsbefehl. Das hätte ich schon längst tun sollen.»
Es hatte so kommen müssen, und Andreas war selbst schuld. Sie hatte ein Dutzend Mal versucht, ihn anzurufen, doch er ging nicht an sein Handy. Auch das war angesichts der Umstände unverständlich. War es denn zu viel verlangt, dass er sie anrief? Nach allem, was passiert war? Er hatte es ihr versprochen. Die Enttäuschung darüber, wie leicht es ihm anscheinend fiel, dieses Versprechen zu brechen, tat ein bisschen weh. Manuela hielt Andreas für einen Freund, und unter Freunden tat man so etwas nicht.
F ünf Minuten später hatte ich ihn
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