Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
geprügelt habe! Und dabei hat er nie gut ausgesehen! Der hat sie wohl nicht alle. Ich könnte ihn umbringen.« Sie schlug die Hände vor den Mund. »Das war nicht so ...«
»Ich weiß. Aber trotzdem ... könnte Annabelle gedacht haben, es sei was zwischen Ihnen und Reg? Er sagt, sie sei wirklich sauer gewesen.«
»Der Bastard. Nicht Annabelle ist sauer gewesen ... jedenfalls nicht am Anfang. Er war wütend auf sie.«
»Warum haben Sie uns das nicht gleich gesagt?« Kincaid rückte die Blumenvase zur Seite, damit er ihr Gesicht besser sehen konnte.
Jo lehnte sich zurück und ließ die Hände in den Schoß gleiten, aber Kincaid sah trotzdem, wie diese sich ineinander verkrampften. Er wurde sich plötzlich ihres Parfüms bewußt. Es war ein frischer, kräuterähnlicher Duft. Ihre Brust hob und senkte sich schwer im warmen Zimmer. »Sie haben die ganze Zeit über gewußt, worum es bei diesem Streit gegangen ist, stimmt’s, Jo? Warum haben Sie’s uns nicht gesagt? Und warum hat Reg uns in diesem Punkt zweimal belogen?«
Er wartete, spürte Gemma an seiner Seite, wußte jedoch, daß sie die gespannte Atmosphäre nicht auflockern und Jo keinen leichten Ausweg bieten würde.
»Als Sie mich das erste Mal gefragt haben, wußte ich nicht, daß Annabelle tot ist«, flüsterte Jo schließlich, ohne den Blick von ihren Händen zu nehmen. »Und später habe ich mich geschämt.«
»Sie haben sich geschämt?« drängte Gemma sanft. »War etwas, das Sie gesagt hatten, der Auslöser?«
Jo schüttelte den Kopf. Die Tränen, die sich in ihren Wimpern gesammelt hatten, rollten ihr über die Wangen. Sie rührte keine Hand, um sie wegzuwischen. »Es war Harry. Dazu müssen Sie wissen ... Martin hat die giftige Saat gegen Annabelle bei ihm gesät. Sie hatte es verdient, das muß ich zugeben, aber sie hatte Harry von Anfang an vergöttert, und ich glaube, es hat ihr das Herz gebrochen.«
Gemma beugte sich vor und berührte ihre Schulter. »Jo, fangen wir von vorn an. Erzählen Sie uns, was passiert ist.«
»Ich möchte nicht, daß Sie schlecht von Annabelle denken.« Jo hob in flehentlicher Geste die geballte Faust an die Brust.
»Tun wir nicht«, versprach Gemma, ohne Jo aus den Augen zu lassen. Und Kincaid bewunderte wie so oft ihre Fähigkeit, anderen die Angst zu nehmen und Vertrauen zu wecken.
Jo holte zitternd Luft, atmete mit einem Seufzer aus und blinzelte gegen die Tränen an. »Es fing an, als Sarah ein Baby war ... oder eigentlich schon vor ihrer Geburt. Martin und ich hatten Probleme ... ich spielte sogar mit dem Gedanken, ihn zu verlassen ... und dann wurde Mami krank. Und ich wurde schwanger.« Sie wandte den Blick ab, schüttelte den Kopf und fuhr leise fort: »Es war dumm von mir, sogar verrückt, aber ich konnte mir einfach nicht helfen. Ich konnte diesem Drang nicht widerstehen ... Ich habe sogar absichtlich mit der Pille gepfuscht.« Sie sah die beiden Besucher an und lächelte flüchtig. »Das hat die Sache mit Martin nicht leichter gemacht, und es hat Mami nicht vor dem Tod bewahrt. Aber es hat mir etwas gegeben, das ich lieben konnte, das die Lücke ausfüllen konnte, die Mami hinterließ ... Warum erzähle ich das nur? Ich habe nie ...«
Gemma berührte Jos Hand. Kincaid kam sich reichlich überflüssig vor. »Ich habe einen Sohn, der ist genauso alt wie Ihre Sarah. Ich weiß, wie das ist.«
Nach einem Moment nickte Jo. »Martin war auf Harry eifersüchtig gewesen, aber mit Sarah fühlte er sich endgültig ausgeschlossen und war noch wütender auf mich als zuvor. Und Annabelle ... Beim Tod unserer Mutter hatte Annabelle niemanden ...« Ihr Seufzen klang beinahe wie ein Schluchzen. »Sie hatten eine Affäre - Martin und Annabelle. Annabelle hat es mir ein paar Monate später gestanden. Sie sagte, sie habe es nicht mehr ertragen, mich und die Kinder zu hintergehen, aber daß Martin keinen Grund sehe, die Beziehung zu beenden. Daraufhin habe ich die Scheidung eingereicht.«
»Waren Sie sehr böse auf sie?« fragte Gemma leise.
»Natürlich war ich wütend. Ich war außer mir vor Wut. Aber sie ist meine Schwester. Und nach einiger Zeit ... hat sie mir gefehlt.
Aber Martin hat ihr nie verziehen. Er behauptet, sie habe sein Leben ruiniert, ihm seine Kinder genommen ... so als sei er an der Geschichte völlig unbeteiligt.« Sie schüttelte noch immer fassungslos den Kopf.
»Und Harry?«
»Martin hat ihm erzählt, Annabelle sei
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