Deborahs Totenacker
glattgeht.«
»Sehr gut.«
»Warten Sie’s ab.«
Der Autoverkehr um uns herum war merklich dünner geworden. Zwar wuchsen hin und wieder die viereckigen Säulen von Hochhäusern zum Himmel, doch die Enge der Innenstadt war verschwunden. Es gab noch freie Flächen, auch einzeln stehende Häuser mit Äckern oder leeren Weideflächen dazwischen. Die ersten Waldstücke sahen wir ebenfalls, die Straßen waren manchmal wie mit einem Lineal gezogen und lagen auch längst nicht mehr so dicht beisammen.
»Wir nähern uns«, sagte Cattani.
»Ich merke es.«
»Und sonst?«
»Wie meinen Sie das?«
»Geht es Ihnen gut?«
»Zumindet geht es mir nicht schlecht.«
Er lachte über meine Bemerkung. Ich spürte, daß auch ihn die Spannung bedrückte. Er war nicht mehr so locker, auch wenn es so aussehen sollte. Sein Blick war starr nach vorn gerichtet, manchmal runzelte er die Stirn oder leckte über seine Lippen. Über die Scheiben huschten die Schatten der Bäume hinweg, die uns begleiteten. Mal besserte sich die Sicht, mal standen Häuser oder Wohngebiete wieder dichter zusammen.
Dörfer wie Haufen aus Steinen ließen wir hinter uns, und noch immer begleitete uns das Grau des wolkenverhangenen Himmels.
»Bald haben wir es geschafft, Sinclair, und ich frage mich, was Sie dann unternehmen wollen.«
»Sie können sich ja überraschen lassen.«
»Was mir nicht gefällt. Weihnachten hat es früher gegeben. Heute bin ich erwachsen.«
»Richtig.«
»Werden Sie mich niederschlagen oder zu fesseln versuchen?« Er schaute mich kurz an und grinste breit. »Warum sollte ich das tun?«
»Weil Sie es einfach nicht riskieren können, daß ich Ihnen in den Rücken falle. Ihr Plan war wirklich außergewöhnlich gut für einen Bullen. Ich hätte Ihnen den nicht zugetraut, aber jetzt kommt der zweite Punkt, an dem Sie sich entscheiden müssen. Was mache ich mit meinem Ballast? Werfe ich ihn ab, oder lasse ich ihn an Bord?«
»Fahren Sie!«
Cattani amüsierte sich. »Sie haben sich wohl noch nicht entschieden – oder?«
»Ich bin jemand, der spontan handelt.«
»Das habe ich erlebt«, erwiderte er lachend. »Ja, Sie handeln sehr spontan und setzen sich auch noch durch.«
»Es ist meine Art.«
Cattani grinste, dann nahm er die linke Hand vom Lenkrad und wies mit dem ausgestreckten Mittelfinger gegen die Seitenscheibe.
»Schauen Sie nach links, Sinclair, sehen Sie den Wald auf dem Hügel?«
»Es ist nicht zu übersehen.«
»Genau dort müssen wir hin.«
»Dann fahren Sie mal.«
Er amüsierte sich über meine Antwort. »Wie ist es, Sinclair? Kein mulmiges Gefühl im Magen? Haben Sie keine Angst, daß etwas passieren könnte?«
»Würde es Ihnen helfen, wenn ich es bejahe?«
»Es ist mir egal.«
»Was könnte mich denn erwarten? Die rothaarige Deborah und ihr Totenacker?«
»Zum Beispiel.«
»Ich kenne Ghouls.«
»Das haben Sie mir gesagt.«
»Zudem steht nicht fest, daß wir diese Person dort auch finden, denke ich mal.«
Cattani hob die Schultern. »So gut kenne ich sie nicht.«
»Wissen Sie überhaupt, was sie mit den Leichen angestellt hat, die Sie ihr geliefert haben?«
»Ich weiß es jetzt.«
»Und zuvor haben Sie sich keine Gedanken darüber gemacht?«
»Nein. Außerdem habe ich ihr keine Leichen geliefert. Sie schaffen es nicht, mich aufs Glatteis zu führen, Sinclair. Aber was sie macht, das macht sie gründlich. Davon sollten Sie ausgehen. Kompromisse kennt sie nicht.«
»Es wäre auch atypisch für einen Ghoul«, sagte ich. »Da spricht der Fachmann.«
Der Wald kam näher, da die Straße in einer schrägen Linie auf ihn zuführte. Davor lag das flache Gelände wie ein leicht welliger Teppich, bewachsen mit blattlosen Sträuchern, die ihre Arme wie braune, krumme Stöcke zu den verschiedenen Seiten hin wegstreckten. Von irgendwelchen Gräbern oder Grabsteinen konnte ich auf diese Entfernung hin nichts sehen, und Cattani bemerkte meinen forschenden Blick, denn er sagte: »Im Lauf der langen Zeit ist alles zugewuchert.«
»Waren Sie schon öfter hier?«
»Einmal.«
»Soll ich nach dem Grund fragen?«
Er lachte spöttisch. »Lieber nicht. Ich würde Ihnen den auch nicht nennen, Sinclair.«
»Kann ich mir denken.«
»Und noch eins. Was hier zwischen uns beiden abläuft, hat es nie gegeben und wird es auch niemals geben. Sollte irgendwann die Sprache darauf kommen, werde ich alles abstreiten. Sie werden von mir nie eine konkrete Aussage erhalten. Und ich denke auch, daß es in einer Verhandlung nicht
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