Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
bin sicher, daß du deine Gründe hast, Honey. Ich wollte nicht herablassend klingen. Der Himmel weiß, daß die meisten Leute mich auch seltsam finden, religiös wie ich bin. Und der arme Peter. Die Typen auf seinem Revier denken, er ist verrückt geworden. Genau wie du gesagt hast: Wer bin ich denn, um darüber zu richten?«
»Verstehst du, so ist die Philosophie von Leibben«, sagte Honey. »Moderne Maschinen treiben Keile zwischen die Menschen.«
Leibben, dachte Rina. Stimmt. Honey hatte einen Leibbener Chassiden geheiratet.
»Wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat, kein Telefon zu benutzen, ist es wirklich schön«, sagte Honey. »Wir gehen im Park spazieren und ratschen. Nachmittags treffen wir uns viel … zu Teeparties. Es ist irgendwie … drollig.« Honey kicherte. Rina erinnerte sich, daß das zu den nervösen Ticks gehörte, die Honey entwickelt hatte, nachdem ihre Mutter gestorben war. »Na jedenfalls, wenn es dir zu viel Umstände macht, uns aufzunehmen …«
»Ich würde dich furchtbar gerne sehen, wenn ich es einrichten kann, Honey. Es ist alles ein bißchen hektisch, seit das Baby –«
»Du hast ein Baby bekommen?« jubelte Honey in den Apparat. »Oh, wie aufregend! Wann?«
»Hannah ist jetzt neun Monate alt.«
»Oh, Rina, wie wunderbar! Jetzt hast du endlich noch ein kleines Mädchen bekommen! Du mußt doch einfach begeistert sein!«
»Es ist ein großes Glück für mich.« Rina merkte selber, daß ihre Stimme zu einem Flüstern herabgesunken war. Bei der Geburt war alles glatt gegangen, aber hinterher hatte es Komplikationen gegeben. Hannah würde Rinas letztes Baby sein, und nicht etwa, weil sie es so wollte. Es entstand eine lange Pause. Honey fragte, ob alles in Ordnung sei.
»Alles wunderbar.« Rina versuchte, möglichst aufgekratzt zu klingen, was ihr nicht leichtfiel, weil aufgekratzt nicht unbedingt zu ihrem tagtäglichen Gefühlsbarometer gehörte.
Honey ging darauf ein. »Die Jungen müssen inzwischen schon groß sein … richtige Teenager.«
»Vierzehn und elf.«
»Ach ja, die Pubertät ist ja so schwierig, stimmt’s?« Eigentlich fand Rina, daß die Jungen einfacher waren, je älter sie wurden. Aber sie antwortete: »Es kann ziemlich anstrengend sein.«
»Mendel hat sich zu einem sehr stillen Jungen entwickelt. Er ist süß, aber ich weiß nie, was er denkt. Und Minda ist so launisch. Ich brauche nur irgendwas zu sagen, schon springt sie mir an die Kehle. Wir brauchen diesen Urlaub wirklich. Also, meinst du, du kannst uns unterbringen?«
»Da bin ich mir ziemlich sicher, aber ich muß es erst mit Peter besprechen.« Rina zögerte. »Nicht daß es mich irgend etwas anginge, Honey, aber hat Gershon nichts dagegen, nach Disneyland zu fahren oder andere weltliche Dinge zu sehen?«
Honey antwortete nicht. Durch den Apparat hörte man Hintergrundgeschnatter.
»Hallo?« fragte Rina.
»Entschuldige, ich wurde abgelenkt«, sagte Honey. »Gershon kommt nicht mit. Er ist in Israel. Hatte ich das nicht erwähnt?«
Nun war Rina diejenige, die erst mal schwieg. »Ich weiß nicht mehr. Weiß er, daß du vorhast, mit ihnen nach Disneyland zu fahren?«
»Er hat nicht danach gefragt, und ich habe ihm nichts gesagt. Er weiß nur, daß ich nach Los Angeles fliege, um ein paar alte Freunde zu besuchen.«
»Sehr alte«, erwiderte Rina trocken.
»Na, für die Klebstoffabrik reicht’s noch nicht«, sagte Honey. »Auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Rina, vielen, vielen Dank für alles. Und wenn es dir zu viel Mühe –«
»Ach, überhaupt nicht«, unterbrach Rina sie. »Ich frage Peter, und dann rufe ich dich zurück.«
Honey gab ihr die Nummer. Rina schrieb sie auf.
»Wann genau willst du denn kommen, Honey?«
»Schon bald. In zwei Tagen.«
»In zwei Tagen?« Decker sah seine Frau an. »Viel Zeit hat sie dir ja nicht gelassen, was?«
Rina löffelte Joghurt in Hannahs Mund. »Viel nicht.«
Decker nippte an seinem Kaffee, dann nahm er einen Bissen von seinem Truthahn-Sandwich. Während er Rina so zusah, wie sie ihre Tochter fütterte, war er dankbar für diese friedvolle Unterbrechung. Seit er neuerdings beim Revier von Devonshire arbeitete, mußte er jeden Morgen eine längere Strecke zum Dienst fahren als früher. Aber sein Arbeitsfeld war immer noch nahe genug, um sich ab und zu mal zum Mittagessen nach Hause zu stehlen. Jetzt saß er zufrieden da und lächelte, als Hannah sich kaffeefarbenen Sabber um den Mund schmierte … Rina versuchte zwar, sie sauber zu halten,
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