Decker & Lazarus 10 - Der Schlange List
kommt. »Bleiben Sie ganz ruhig«, sagte er.
Soviel Blut, auch arterielles, das hellrot und rhythmisch hervorschoß. Decker legte Druckverbände an, und die Frau schrie.
Er biß sich auf die Oberlippe, kaute an seinem roten Schnurrbart, versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen. Er untersuchte ihre Fleischwunden, stieß auf Knochensplitter. Die Oberschenkelarterie schien unverletzt, die anderen Hauptarterien auch. Wahrscheinlich waren kleinere Adern getroffen. Ihr war es nicht klar, aber sie hatte gewaltiges Glück gehabt. Mehr jedenfalls als ihr Begleiter. Dem war nicht mehr zu helfen.
»Ich brauch’ne Decke!« brüllte Decker.
»Keine mehr da«, schrie jemand zurück.
»Dann ein Tischtuch, Servietten, irgendwas«, brüllte Decker. »Ich hab hier’n Fall von Schock.«
»Da bist du nicht der einzige. Such dir dein Zeug selber!«
»Zum Teufel noch mal … «
»Hier!« Eine kleine Sanitäterin warf ihm ein Tischtuch zu. Sie war über einen Bärtigen gebeugt, verband ihm den Hals. Der gestärkte Damast färbte sich sofort tomatenrot. Sie sah Deckers Achselhalfter unter dem Jackett hervorlugen. »Von welcher Truppe bist du denn?«
»L. A. Police Department. Lieutenant Peter Decker.«
Die Sanitäterin machte große Augen. »Celia Brown. Wenn du was brauchst, sag Bescheid.«
»Danke.« Er breitete die Decke über die Verletzte, so gut es ging, winkelte ihr unverletztes Bein an, tupfte ihr das Gesicht ab, während sie schluchzend Auskunft gab. Sie hieß Tess und hatte es knallen gehört. Dann hatten alle angefangen zu schreien, waren in Deckung gegangen. Sie wurde am Bein erwischt, als sie unter den Tisch rutschte.
Sein Gedächtnis notierte alles.
Sie trug eine dicke Goldkette, ihr Täschchen lag neben ihr auf dem Boden. Ein grauenhaftes Verbrechen, aber Raub war offenbar auszuschließen. Oder der Räuber hatte sie übersehen. Sie strotzte nicht von Brillanten und Perlen wie ein paar andere Gäste, sie trug ein grellbuntes Blumenkleid, das ihr ein paar Nummern zu groß war. Sie fragte Decker, was mit ihrem Bein sei. Sie könne ihre Zehen nicht bewegen, spüre nur stechende Schmerzen.
»Ihr Bein ist noch dran.« Decker schaute noch einmal nach den Blutungen. »Sie sind sehr tapfer.«
»Mein Mann?«
Decker schwieg.
»Ist er tot?«
Keine Antwort.
»Ich will es wissen«, flüsterte Tess.
Decker atmete tief durch. »Der dunkelhaarige Mann mit dem blauen Anzug?«
»Ja.«
»Es tut mir leid, Madam. Er ist tot.«
Tess sagte nichts, schaute weg, Tränen in den Augen.
»Bleiben Sie ganz still liegen.« Dann fragte Decker die Sanitäterin: »Habt ihr Wundgel übrig? Verbandzeug?«
Celia reichte ihm ein paar Utensilien. »Brauchst du Gerinnungsmittel?«
»Die Blutung hat nachgelassen. Wäre mir lieber, wenn einer von euch die Medikamente verabreicht.«
»Klar.« Celia überlegte einen Moment, dann sagte sie: »Bist du … bei der Polizei?«
»Ja.«
»Die haben wohl die ganz hohen Tiere geholt?«
Decker war nicht nach Geplauder zumute, das Ausmaß der Katastrophe machte ihn wortkarg.
»Die scheinen euch ja gut auszubilden in Erster Hilfe.«
»Ich war Sanitäter bei der Army.«
»Ah, verstehe. Vietnam?«
»Ja.«
»Da hast du sicher einiges gesehen.«
Zu viel, dachte Decker. Er trug das Gel auf und wickelte eine Mullbinde herum. »Sie braucht eine Halsstütze und eine Hüft- und Beinschiene. Kannst du das übernehmen, wenn du dort fertig bist?«
»Kein Problem. Und danke für die Hilfe. Wir brauchen jede Hand.«
Beide arbeiteten stumm und schnell weiter. Als sie den Mann mit der Halswunde versorgt hatte, brüllte sie: »Eine Trage, Abtransport.«
In Sekundenschnelle wechselte sie die Handschuhe und rutschte auf den Knien zu Deckers Patientin hinüber. »Unglaublich.«
»Ja.«
»Ich mache weiter.«
»Danke. Sie heißt Tess. Sie ist sehr tapfer.«
»Hey, Tess«, sagte die Sanitäterin. »Wir kümmern uns um dich.«
Decker stand auf. Ein Dutzend Ärzte kamen hereingestürzt, rannten zu den Verwundeten.
Vernichteten die Spuren.
Als ob das jetzt wichtig wäre. Aber später würde es seine Arbeit erschweren. Bis jetzt hatte noch niemand das Kommando übernommen. Da inzwischen genug Mediziner da waren, hatte er jetzt Zeit dafür. Er rief ein paar Beamte herüber, zeigte seine Marke.
»Der Tatort muß abgesperrt werden, ich will fünfzig Meter nach allen Seiten. An jedem Eingang zwei Beamte. Keiner darf rein, keiner darf raus – außer medizinisches Personal und Mordkommission. Und wenn ich
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