Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
»Das bin ich«, hatte Mark mich um die Hüften gepackt und zog mich auf seinen Schoß. Er legte die Stirn an meine und wir waren einander so nah, dass seine Augen nach wenigen Sekunden zu einem einzigen verschmolzen, das sich mitten auf seiner Stirn befand. Ich vermutete, dass es bei mir ähnlich aussah. »Es tut mir wahnsinnig leid, Süße.«
»Du kannst doch nichts dafür.« Ich wandte den Blick nicht ab. Es war mir unmöglich. Ich hatte erwartet, dass meine Gefühle für Kona alles, was ich für Mark empfunden hatte, verdrängen würden, doch so war es nicht. Es war schön, wieder von ihm gehalten zu werden. Anders, aber immer noch schön.
»Ich wünschte, du hättest es mir erzählt. Ich wäre zur Beerdigung gekommen.«
Ich zuckte die Achseln. »Es war ziemlich weit weg.«
»Dein Dad hat gesagt, du wärst auf Hawaii. Das ist nicht besonders weit weg.« Er lehnte sich ein kleines Stück zurück und nahm mein Gesicht in die Hände. »Geht’s dir gut?«, flüsterte er, während mir sein Atem warm über das Gesicht strich.
»Ja. Den Umständen entsprechend.«
»Willst du darüber reden?«
»Eigentlich nicht.«
Mit einem Nicken stand er auf. »Also gut. Hol deine Pizza. Ich fahre mit dir nach Hause.«
»Das musst du nicht -«
»Tempest, du bist mein Mädchen. Ich habe dich seit zwei Wochen nicht gesehen. Und deine Mutter ist gerade gestorben. Ich glaube, der Abend mit den Jungs kann warten.«
»Absolut«, bekräftigte Bach. »Geh und kümmere dich um sie, Mann.«
»Das habe ich vor.«
Und mir nichts, dir nichts hatte ich mein altes Leben zurück.
27
Doch ganz so einfach war es nicht, nicht einmal annähernd. Ich tat zwar so als ob, aber es fühlte sich alles ganz anders an als vor meinem Weggang.
Wenn ich mit Mark zusammen war, dachte ich an Kona.
Wenn ich mit meinen Freundinnen zusammen war, dachte ich an Mark.
Wenn ich mit meinem Vater zusammen war, dachte ich an meine Mutter.
Und wenn ich surfen war, was nicht halb so oft vorkam wie früher, dachte ich an die wenigen Tage, die ich unter Wasser verbracht hatte. In denen ich eine Wassernixe gewesen war.
Irgendwo hatte ich einmal die Redewendung »Es führt kein Weg zurück« aufgeschnappt, die mir immer ein wenig merkwürdig erschienen war. Warum sollte man nicht an den Ort zurückkehren können, von dem man aufgebrochen war, wenn man woanders alles erledigt hatte?
Jetzt wurde mir klar, dass ich besser hätte aufpassen sollen, denn ich hatte die Bedeutung dieser Redewendung am eigenen Leib erlebt. Meine Mutter war eines Morgens fortgegangen und nie zurückgekehrt, was ich ihr sechs lange Jahre verübelt hatte. Und nun stand ich da: Ich war zurückgekehrt, hatte niemals vorgehabt, überhaupt fortzugehen, und trotzdem war nichts mehr so wie vorher.
Andererseits war womöglich tatsächlich alles noch so wie vorher und ich war diejenige, die sich verändert hatte. Klar war nur, dass ich Tag für Tag das Gefühl hatte, ein fremdes Leben zu leben, wenn ich morgens aufstand und zur Schule ging.
Doch auch jene Tage im Meer waren nicht mein Leben gewesen. Ich hatte mich dort mindestens so unwohl gefühlt wie hier. Richtig wohlgefühlt hatte ich mich im Grunde nur, wenn ich mit Kona zusammen gewesen war. Aber selbst wenn ich zurückginge - selbst wenn ich eine Wassernixe werden würde könnte ich nicht ständig mit ihm zusammen sein. Ich musste meinen eigenen Weg finden. Ich konnte nicht erwarten, dass er sich für den Rest meines Lebens um mich kümmerte. Das würde mich wahnsinnig machen.
Trotzdem ertappte ich mich manchmal dabei, wie ich auf den Ozean starrte und mir wünschte, so weit wie möglich hinauszuschwimmen und mich dem Meer zu überlassen. Mich von ihm in das Leben zurückziehen zu lassen, das ich für kurze Zeit gelebt hatte. Ich war wütend, enttäuscht und entsetzt über das, was sich auf dem Grund des Meeres abgespielt hatte, und dennoch konnte etwas in mir nicht loslassen. Ich sehnte mich nach dem Wasser, sehnte mich nach dem Leben, das ich hätte führen können.
Die entscheidende Wendung kam eines Tages, nach dem Unterricht. Normalerweise wäre ich mit den Jungs surfen gegangen, aber der Wind blies so heftig, dass die Wellen nicht zu gebrauchen waren. Daher hatte Mark uns zum Abhängen zu sich nach Hause eingeladen.
Ich hätte fast abgelehnt, doch das hatte ich in letzter Zeit häufig getan, sowohl Mark als auch dem Rest meiner Freunde gegenüber. Bri und Mickey kamen ständig vorbei, fast jeden Tag. Aber normalerweise wimmelte
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