Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
fragte mich, was mein Vater sagen würde, wenn ich damit herausplatzte. Höchstwahrscheinlich wäre er schon bei der Enthüllung, dass ich jemanden umgebracht hatte, ausgerastet. Was ich ihm nicht verdenken konnte, schließlich war ich selbst mehr oder weniger ausgeflippt.
Es gab so vieles, was ich ihm sagen wollte, so viele Dinge, zu denen ich gern seine Meinung gehört hätte. Doch zum ersten Mal im Leben hatte ich das Gefühl, dass uns eine Kluft trennte, von der ich nicht wusste, wie ich sie überbrücken sollte.
Also nahm ich das Geld, statt meine Probleme vor ihm auszubreiten, und fragte: »Was soll ich holen?«
»Ich habe die Pizza schon bestellt. Sie müsste in zwanzig Minuten fertig sein. Der Nachtisch ist mir egal. Such du ihn aus, es darf gern ein Dickmacher sein.«
Mit gespielter Verblüffung sah ich ihn an. »Das ist wohl das erste Mal, dass ich dich so etwas sagen höre.«
»Nicht für mich. Für dich.«
Ich schnaubte. »Ich habe mich heute schon mit einem Burger und Popcorn vollgestopft und jetzt Pizza. Wie viel soll ich deiner Meinung nach noch essen?«
Ich rechnete damit, dass er einen Scherz machen würde, doch er war todernst, als er erwiderte: »Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut?«
Ich schüttelte den Kopf. Nach allem, was passiert war, konnte ich mir nicht mehr ins Gesicht sehen.
»Du warst gut zwei Wochen weg und hast garantiert zehn Pfund abgenommen, die du schon vorher nicht übrig hattest. Du bestehst nur noch aus Haut und Knochen.«
»Das kommt vom vielen Schwimmen«, scherzte ich. »Dabei verbrennt man jede Menge Kalorien.«
»Das mag sein, aber jetzt ist es an der Zeit, dass du sie dir wieder einverleibst.« Er machte eine Pause, ehe er die Frage stellte, die ihn offensichtlich schon eine ganze Weile beschäftigte: »Wie weit bist du rausgeschwommen, Tempest?«
»Keine Ahnung. Ein paar Tausend Kilometer vielleicht.«
Das war der Moment, als mein supercooler, jeder-muss-sich-auf-der-Welt-sein-eigenes-Plätzchen-suchen-Dad ziemlich blass wurde. »Du bist ein paar Tausend Kilometer rausgeschwommen? Ganz allein? Durch den Ozean?«
»Es war längst nicht so schlimm, wie es sich anhört.«
»Das will ich hoffen, denn es hört sich absolut furchtbar an.«
Fast hätte ich gelacht. Wenn es sich nur absolut furchtbar anhörte, musste ich die Sache besser heruntergespielt haben, als ich angenommen hatte.
Es war nicht alles furchtbar gewesen, sagte mir meine innere Stimme.
Das vielleicht nicht, aber die letzten Tage, die ich dort verbracht hatte, überschatteten alles andere.
Da ich es leid war, länger darüber zu reden oder, noch schlimmer, weiter darüber nachzudenken, nahm ich Dad das Geld und die Schlüssel aus der Hand und ging zur Tür. »Ich hole dir was mit Schokolade«, rief ich über die Schulter.
»Hol dir selbst was mit Schokolade. Und Tempest, falls du glaubst, dass wir mit dieser Unterhaltung fertig sind, dann bist du im Irrtum.«
Mit diesen ominösen Worten im Ohr ging ich zum Wagen meines Vaters. Normalerweise fuhr ich mit meinem eigenen, aber die Schlüssel, die ich mir geschnappt hatte, gehörten zu seiner Corvette, und ich würde auf keinen Fall noch einmal umkehren, solange er diesen äußerst seltenen, aber dafür umso wirkungsvolleren Kriegerblick draufhatte, wie Rio es nannte. Die Tatsache, dass er mir nicht nachkam und die Schlüssel zurückverlangte, bewies, dass er mich mehr vermisst hatte, als er zugeben wollte.
Nachdem ich, sehr vorsichtig, die Prospect Street hinabgefahren war, erwischte ich hinter Frazoni’s den letzten Parkplatz und ging hinein. Ich war ein wenig früh dran, wahrscheinlich würden die Pizzas erst in zehn Minuten fertig sein, daher wollte ich mir die Zeit an einem der altmodischen Videospielautomaten vertreiben, die hinten an der Wand standen. Wenn ich mit Mark hierherkam, beanspruchte er normalerweise alle guten für sich.
Doch als ich auf den original Pac-Man-Automaten in der Ecke zuging, erstarrte ich, denn ich sah, dass Bach dort bereits zugange war. Tony und Logan standen hinter ihm, mit Pappbechern in der einen Hand und einem Stück Pizza in der anderen.
Am liebsten wäre ich umgekehrt, um so zu tun, als hätte ich sie nicht gesehen. Ich bin dafür noch nicht bereit, schrie etwas in mir. Ich war noch nicht bereit, die Tempest zu sein, die sie erwarteten. In ihren Augen war es nur zwei Wochen her, seit sie mich das letzte Mal gesehen hatten, für mich hingegen fühlte es sich an wie eine ganze Lebensspanne.
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