Deep Secrets - Berührung
Schachtel, auf der in sauberer Schrift PERSÖNLICHE PAPIERE steht. Wo, wenn nicht da, sollte ich eine Adresse oder etwas Ähnliches finden können.
Zwei Stunden später sitze ich noch immer an eine Wand gelehnt und blättere Unterlagen durch, die mich absolut nichts angehen. Schulzeugnisse, Rechnungen, juristischer Papierkram, der die paar Cent der Erbschaft nach dem Tod von Rebeccas Mutter auflistet, ihrer letzten lebenden Angehörigen. Sie ist vor drei Jahren gestorben. Ich denke an meine eigene Mutter, an die Frau, die so sehr versucht hat, mich meinem Vater gegenüber abzuschirmen, aber niemals irgendetwas getan hätte, um sich selbst zu schützen. Ich kneife die Augen zusammen und frage mich, ob der Schmerz über ihren Verlust jemals abebben wird. Sie war meine beste Freundin, meine engste Vertraute. Ich frage mich, ob Rebecca ihrer Mutter nahestand, so wie ich meiner nahegestanden habe. Ob sie gelitten hat, so wie ich unter meinem Verlust gelitten habe und immer noch leide.
Mit Mühe konzentriere ich mich wieder auf die Papiere und begreife, dass ich keine Familienangehörigen finden werde, um Rebecca zu erreichen. Aber glücklicherweise steht auf der Post und einem Bündel Kontoauszüge zumindest ihre Adresse, obwohl ich kaum glaube, dass sie noch stimmen wird.
Als ich alles zurück in den Karton stopfe und aufstehe, habe ich das Gefühl, dass ich bei meiner Suche nach Rebecca meinem Ziel nicht viel näher gekommen bin. Ich fühle mich steif und verkrampft – die Frau, die jeden Morgen joggt.
»Versuchen Sie es mal mit der Kommode«, erklingt eine Männerstimme hinter mir.
Ich stoße einen spitzen Schrei aus, wirble herum und sehe einen Mann in der Tür stehen, der ein Firmen-T-Shirt trägt. Die Härchen in meinem Nacken stellen sich auf; meine Nervenenden summen mir eine Warnung zu. Er ist ein attraktiver Mann Mitte dreißig – blond, glatt rasiert, mit kurzem, abstehendem Haar, aber es ist das glimmende Interesse in seinen tief liegenden Augen, das mich nervös macht. Der ohnehin schon kleine Raum scheint zu schrumpfen und sich um mich zu schließen, und ich kann ein merkwürdiges Gefühl nicht abschütteln. Es lässt mich erstarren und liegt wie ein unsichtbares Gewicht auf meinen Schultern und meiner Brust.
»Kommode?«, krächze ich trotz der Trockenheit meiner Kehle.
»Jeder hat eine geheime Schlafzimmerschublade«, bemerkt er. Seine Stimme wird tiefer, Heiserkeit mischt sich hinein. »Einen Ort, der fast so persönlich ist wie seine Seele.«
Ich versteife mich, eine neue Woge Unbehagen überschwemmt mich. Er ist hier drin gewesen. Ich weiß es mit jeder Faser meines Seins. Er hat Rebeccas Sachen durchgesehen. Er weiß, was in der Schublade ist. Ich mag diesen Mann nicht, und ich bin mir plötzlich mit allen Sinnen der Tatsache bewusst, dass ich mit ihm allein bin, Meilen vom Highway entfernt, kein anderer Kunde in der Nähe – zumindest nicht, soweit ich das bisher gesehen oder gehört habe.
»Ich will ihre Geheimnisse gar nicht kennen«, sage ich entschieden und mit bemerkenswert fester Stimme, wenn man bedenkt, dass mir die Knie zittern. »Ich will sie finden und ihr ihre Sachen zurückgeben.«
Er mustert mich ein paar Sekunden lang, sein Blick so scharf wie der Stich des Unbehagens, das sich tief in mich hineinbohrt. Dann, als ich kurz davor bin, an dem Schweigen zu ersticken, sagt er endlich: »Wie gesagt, schauen Sie in der Schublade nach.« Seine Lippen deuten ein sarkastisches Lächeln an, er stößt sich vom Türrahmen ab. »Ich werde um neun zurück sein, um das Außengebäude abzuschließen. Wenn ich das tue, wollen Sie bestimmt nicht mehr hier drin sein.« Ohne ein weiteres Wort ist er verschwunden.
Ich bewege mich nicht. Ich kann mich nicht rühren. Ich will die Tür zuschlagen, wage es aber nicht, da sie von außen abzuschließen ist, ein Gedanke, der mir furchtbare Angst einjagt.
Sekunden verrinnen, und ich warte darauf, dass die Schritte des Mannes in der Ferne verklingen. Weg. Ja. Weg. Ich muss hier weg.
Ich stürze zu der glänzenden Mahagonikommode an der Wand und reiße die obere rechte Schublade auf. Gott, das Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich kriege kaum noch Luft. Ich muss eine Pause machen und mich dazu zwingen, ein- und langsam wieder auszuatmen. Ich zittere und habe irrationalerweise Angst. Ich zähle bis dreißig, dann kann ich wieder atmen. Ich bin okay. Alles ist okay.
Ich öffne die linke Schublade, und der Atem, den ich endlich wiedergefunden habe,
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