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Deer Lake 01 - Sünden der Nacht

Deer Lake 01 - Sünden der Nacht

Titel: Deer Lake 01 - Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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in der Zelle neben deiner hat sich gerade umgebracht und du weißt nichts? Du mußt einen gesunden Schlaf haben.«
    Boog kratzte nervös an seinem schorfigen Kinn, den Blick auf den leeren Fernsehbildschirm gerichtet. Seine Blässe war wächsern, glänzte von der Art Schweiß, den Übelkeit auslöst. »Vielleicht hat er ein paar Geräusche von sich gegeben«, sagte er leise. »Ich hab nicht gewußt, was er tut. Perverser Kinderschänder. Wollte gar nicht wissen, was er tut! Ich hab gedacht, er holt sich einen runter oder so was.«
    »Er ist gestorben, Einstein!« Mitch explodierte, dräute plötzlich über Newton wie ein Racheengel oder Luzifer selbst. »Unsere einzige Spur in diesem Scheißfall, und jetzt ist er tot!«
    »Herrgott, das ist nicht meine Schuld!« winselte Boog und hielt sich die Arme über den Kopf, duckte sich wie ein geprügelter Hund.
    »Nein, keiner ist je an etwas schuld«, schnaubte Mitch verächtlich. »Ich hab diese feige Ausrede so satt!«
    Die Wut rollte durch seine Adern wie ein Sturm, trübte ihm den Blick und sein Urteilsvermögen. Er machte keinen Versuch, sie einzudämmen, trat gegen Newtons Pritsche, mit voller Wucht immer und immer wieder, die ganze Zelle vibrierte vom Dröhnen des Metalls. »Verflucht, verflucht, VERFLUCHT!«
    »Mitch!« schrie Megan und rannte in die Zelle. Er schnellte herum, sie packte ihn am Arm. Sein Gesicht war eine wutverzerrte Fratze.

    »Mitch, komm jetzt«, sie sah ihm beschwörend in die Augen. »Beruhig dich. Wir haben zu arbeiten.«
    Er sah, daß Boog Newton sich auf seiner Pritsche zusammengerollt hatte, seine verängstigten Augen lugten ihn über knochige Knie an. Du bist ausgerastet, Holt. Du bist ausgerastet.
    Dazu hatte er natürlich allen Grund! Sein Blick wanderte langsam weg von Newton durch die Gitter in die nächste Zelle, wo Olie Swain in einer Blutlache auf dem Boden lag. Ihr einziger Anhalt, der einzige Verdächtige! Er hätte sie vielleicht zu Josh geführt, aber Paige hatte die Überwachung vermasselt. Er hätte sich vielleicht auf einen Handel eingelassen und ihnen einen Tip gegeben oder sogar seinen Komplizen verraten. Aber jetzt gab es gar nichts mehr. Alles war mit Olie fort, wie eine abgewischte Tafel.
    Mitch redete sich ein, früher wäre ihm das nie passiert, als seine Instinkte noch scharf wie Rasiermesser waren. In den letzten beiden Jahren hatte er seine Instinkte abstumpfen lassen, hatte sich vorgemacht, er würde sie hier nicht brauchen. Ein Chief brauchte keine Instinkte, sondern Diplomatie. In Deer Lake war nie etwas passiert. Überhaupt nichts …
    Das grelle Neonlicht prallte auf Olie Swain hinunter, auf den dunklen Fleck auf seiner aschfahlen Haut, auf die leere Augenhöhle, die sein Glasauge gehalten hatte. Ein Fragment des Auges lag in einer Pfütze Blut neben seiner linken Hand – ein scharfer Splitter, aus dem eine blaue Iris und eine schwarze Pupille an die Decke starrte. Er hatte den Porzellankörper zerschlagen und eine von den Scherben dazu benutzt, sich die Pulsadern aufzuschneiden, sein Lebensblut ergossen auf den Boden des Stadtgefängnisses von Deer Lake. An der Wand über der Leiche waren in Rot die Worte geschmiert ICH NICHT.

4 Uhr 32
    Der Gerichtsmediziner von Park County war ein birnenförmiger Mann mit angehender Glatze, namens Stuart Oglethorpe, Direktor des Oglethorpe-Bestattungsinstituts. Er befand sich in den fünfzigern, trug eine dicke schwarze Hornbrille und eine saure Miene, die Mitch vermuten ließ, daß er wohl nie den Geruch von Einbalsamierungsflüssigkeit aus seiner Nase bekam. Er untersuchte Olie kurz,
berührte seinen Körper vorsichtig, mit behandschuhten Händen, nörgelte über die leere Augenhöhle und das viele Blut.
    Es war allgemein bekannt, daß sich Stuart Oglethorpe nur für das Amt des Bezirkspathologen beworben hatte, damit sein Bestattungsinstitut ersten Zugriff auf die Leichen hatte. Wenn der Tote sich bereits im Einbalsamierraum befand, war die trauernde Familie meist bereit, ihn dort zu lassen, einen Sarg zu kaufen und die Begräbnisfeier zu bestellen. Stuart konnte dann obendrein die Aufträge für Blumen seinem Cousin Wilmer von der Gärtnerei Blooming Bud zuschanzen. Für Olie Swain würde keiner Blumen bestellen. Wenn sich nicht irgendein längst verschollener Verwandter aus Washington für ihn interessierte, mußte er auf Bezirkskosten beerdigt werden. Kein Cadillac-Sarg, kein Firlefanz, keine Begräbnisfeier. Stuart war aus seinem warmen Bett geholt worden und mußte

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