Deer Lake 01 - Sünden der Nacht
Es spielte keine Rolle, daß sie recht hatte, daß es niemanden etwas anging. Es war gerade so viel Antwort, daß es ihre Phantasie anregte. Gott, was für ein Alptraum! Sie fühlte sich, als wäre sie in eine Teergrube getreten und versackte mit jeder Bewegung tiefer darin, je heftiger sie sich zu befreien suchte. Jetzt gab es keine elegante Möglichkeit mehr, sich da herauszuwinden. Sie konnte die Wahrheit nicht erzählten und bezweifelte, daß irgend jemand eine zensierte Version schlucken würde. Wir haben über den Fall diskutiert, und ich bin einfach eingeschlafen. Ehrlich. Richtig. Sie kam sich vor wie ein Teenager, den man dabei erwischt hatte, wie er zu spät nach Hause kam. Fast hätte sie laut gelacht über diesen Vergleich, als ihr einfiel, was Mitch gestern abend gesagt hatte: Machen wir doch rum wie früher in der High School … Paige setzte ihr bestes Kreuzzügler-für-das-Recht-auf Pressefreiheit-Gesicht auf und schwor sich insgeheim, Garcia den Hals umzudrehen, wenn er es nicht aufs Zelluloid gebannt hatte. »Um drei Uhr früh, als Ihr Hauptverdächtiger in einem ungelösten Fall von Kindsentführung Selbstmord beging, waren Sie, zuverlässigen Quellen gemäß, im Haus von Chief Holt, bei gelöschten Lichtern. Wenn Ihr vorrangiges Interesse nicht diesem Fall gilt, hat die Öffentlichkeit ein Recht es zu erfahren, Agent O’Malley.«
»Nein, Miss Price«, erwiderte Megan, und ihre Stimme zitterte vor Abscheu. »Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, daß ich und all die anderen Cops, die diesen Fall bearbeiten, praktisch rund um die Uhr gearbeitet haben, um Josh zu finden, um nur einen einzigen brauchbaren Hinweis auf dieses Stück menschlichen Abfalls zu entdecken, der ihn gekidnappt hat. Sie haben ein Recht auf die Auskunft, daß keiner von Olie Swains Vorstrafen ahnen konnte, bevor er hierherkam – daß das, was mit Josh passiert ist, ein Einzelfall sinnloser Gewalt ist und nicht das erste Anzeichen von allgemeiner Anarchie. Sie haben ein Recht darauf zu wissen, daß Ihr Job von Ihren Einschaltquoten abhängt und Ihre Einschaltquoten gewisser Sensationsgier
und Skrupellosigkeit entsprechen. Sie haben kein Recht, mir zu folgen, nachdem ich achtzehn Stunden gearbeitet habe. Sie haben nicht das Recht zu erfahren, welche Sorte Eiscreme ich mag und welche Marke Tampons ich benutze.
Hab ich mich klar ausgedrückt, Miss Price? Oder müssen wir uns vielleicht darüber unterhalten, wie Sie das mit der Überwachung von Olie Swains Haus neulich nachts erfahren hatten? Vielleicht gestehen Sie mit Ihrer patriotischen, weltoffenen Gesinnung der Öffentlichkeit die Bekanntmachung zu, daß Sie und Ihr Nachrichtenteam unsere Untersuchungen gründlich und damit zweifellos unsere Chancen, Josh Kirkwood in dieser Nacht zu finden, ruiniert haben.«
Die Publikumsgunst, diese launische Größe, wandte sich mit einem gewaltigen Ruck von Paige ab. Sie spürte, daß die eifersüchtige Bewunderung ihrer Journalistenkollegen abkühlte wie ein heißes Eisen im Schnee. Die Blicke der Freiwilligen bohrten sich in ihren Rücken. Miss Price empfand die Wut ihrer enttäuschten Anhänger. Sie würde ihr Vertrauen verlieren und damit potentielle Quellen. Das schlimmste war der Verlust der Zuschauer und konsequenterweise derjenige ihrer Pluspunkte bei den Vertragsverhandlungen. Die Reporterin setzte sich wieder auf ihren Stuhl, den Blick auf Megan O’Malley gerichtet, brennend vor Haß.
»DePalma wird mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen und sich eine Schreibunterlage draus machen lassen«, murmelte Megan. Sie schritt die Länge eines antiken Löschwagens ab, zitternd, nicht vor beißender Kälte in der Garage, sondern der Schreck saß ihr in den Gliedern.
Die Pressekonferenz war vorbei, aber der Ärger hatte gerade erst begonnen. Die Lunte war angezündet – und sie führte zu dem Dynamit, das in der Luft von Deer Lake lag. »Verflucht, ich hab gewußt, daß so etwas passieren würde! Ich hab es gewußt!«
»Megan, du hast nichts Unrechtes getan«, sagte Mitch. Er saß auf dem Trittbrett eines alten Trucks und fror sich die Eier ab. Aber er war so ausgelaugt, daß er alles hinnahm. »Du hast es selbst da drin gesagt, hast deinen Standpunkt sehr klar vertreten.«
Megan starrte ihn fassungslos an. »Glaubst du etwa, das wird etwas ändern? Glaubst du, daß dieses Rudel Schakale da drin einfach sagen wird: »O ja, sie hat recht, es geht uns nichts an, mit wem sie schläft? Von welchem Heuwagen bist du denn
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