Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deer Lake 02 - Engel der Schuld

Deer Lake 02 - Engel der Schuld

Titel: Deer Lake 02 - Engel der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
Vom Netzwerk:
gedrückt. Den Kopf hielt er gesenkt, lugte nur gelegentlich hoch. Es waren zu viele Menschen in seinem Zimmer. Er wollte sie nicht hier haben. Sein Zimmer war sein Raum, nicht der ihre. Seine Sachen waren seine Sachen, er wollte nicht, daß sie von Außenstehenden berührt wurden.
    Seine Mom stand neben der Tür und weinte. Josh haßte das. Er haßte es, sie weinen zu hören, er haßte es zu wissen, daß das alles seine Schuld war. Er hatte seine Mutter fast nie weinen sehen, nie war sie hysterisch gewesen wie manchmal die Mutter anderer Kinder – bis vor kurzem. Seit Dad immer wütender wurde und sie ständig stritten. Aber da hatte sie nur heimlich geweint. Jetzt war es anders. Es war seinetwegen.
    Sie hätte nie in seinen Rucksack schauen dürfen. Er hätte nie gedacht, daß sie das tun würde. Mom war sehr streng, wenn es um anderer Leute Privatsphäre ging. Es tat ihm weh, daß sie nachgeschaut hatte. Es tat ihm noch mehr weh, daß er ihre Fragen nicht beantworten konnte. Er konnte ihr nicht vom Nehmer erzählen, sonst würden schlimme Dinge passieren. Schlimmere als die, die bereits passiert waren. Die Vorstellung machte ihm solche Angst, daß er am liebsten selbst geheult hätte, aber auch das traute er sich nicht.
    »Josh? Kannst du uns erzählen, wie die Mütze in deinen Rucksack gekommen ist?«
    Mitch saß auf der Bettkante und sah ihn mit ganz ernstem Gesicht an. Josh sah zu ihm hoch, dann huschte sein Blick zu dem riesigen Polizisten, der neben der Kommode stand. Handschellen blitzten an seinem dicken schwarzen Gürtel. Vielleicht würden die Cops ihn verhaften, weil sie dachten, dasandere Kind wäre seinetwegen ein Kaputter. Angst klumpte sich in seiner Kehle zusammen, und er versuchte, sie hinunterzuschlucken.
    »Hast du diesen Jungen jemals gesehen, Josh?« Der Cop in Zivil hielt ihm einen Handzettel mit dem Bild des Kaputten hin. Josh hielt sich die Hände vors Gesicht und spähte durch die schmalen Schlitze zwischen seinen Fingern. Der Cop sah ein bißchen aus wie Tom Hanks, aber komisch war er gar nicht. Er schien ungeduldig zu sein.
    »Hat dir jemand diese Mütze gegeben, Josh?«
    »Hast du sie irgendwo gefunden?«
    »Es ist wirklich wichtig, daß du uns das sagst.«
    »Du rettest vielleicht diesem kleinen Jungen das Leben.«
    Sie verstanden nicht. Sie wußten nichts vom Nehmer, nichts davon, was es hieß, ein Kaputter zu sein. Es gab so vieles, wovon sie überhaupt nichts wußten. Josh kniff die Augen zu. Im Geiste öffnete er die Tür zu seinem geheimen Ort und ging hinein, dorthin, wo ihn keiner berühren oder verängstigen konnte, wo ihm keiner Fragen stellte, die zu beantworten man ihm verboten hatte.
    Wilhelm wandte sich vom Bett ab und wedelte frustriert mit den Armen. Mitch erhob sich langsam, ausgelaugt wie ein alter, alter Mann.
    »Gibt es denn gar nichts, was wir tun können«, flüsterte Wilhelm. »Hypnose? Wahrheitsserum?«
    »Ja, Marty«, murmelte Mitch. »Ich bin mir sicher, es ist in Ordnung, kleinen Kindern Drogen zu verabreichen, um Antworten aus ihnen herauszuquetschen.«
    Er wandte sich zu Hannah. Sie zitterte, ihre Augen waren rot gerändert und wild. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn sie ausgerastet wäre, aber sie hatte sich im Griff, biß sich durch, obwohl sie sicher kaum noch Kraft hatte. Sie drängte sich an ihm vorbei, ging zu Josh, nahm ihn in den Arm und wiegte ihn, wahrscheinlich war das für sie genauso tröstlich wie für ihn.
    Zumindest war es ihnen gelungen, die Presse fernzuhalten, dachte Mitch. Bis jetzt. Weil Hannah ihn zu Hause angerufen hatte, hatte er Funkstille anordnen und seine Leute heimlich zusammenholen können. Es würde natürlich nicht so bleiben. Wenn sie hier fertig waren, würden die Reporter wahrscheinlich schon im Vorgarten kampieren. Aber im Augenblick war zumindest diese Last von ihnen genommen.
    Eine weitere Erleichterung war Pauls Abwesenheit. Niemand hatte ihn angerufen. Er hätte natürlich auf seinem Recht bestanden dabeizusein. Dieses Recht hatte er vermutlich, aber er war ein Störfaktor, den keiner brauchte. Schon gar nicht Hannah und ganz gewiß nicht nach der Vorstellung, die er vorhin gegeben hatte. Sie brauchte einen seelischen Anker, jemanden, der sie beruhigen konnte, und zu diesem Zweck hatten sie Pater Tom angerufen. Er stand in der Schlafzimmertür und sah aus wie ein Landstreicher – unrasiert, sein braunes Haar stand in Büscheln vom Kopf ab.
    »Wenn Sie bei dem Herrn da oben einen gewissen Einfluß haben, Pater, wir

Weitere Kostenlose Bücher