Deer Lake 02 - Engel der Schuld
Enbergs Selbstmord geben?« tobte Paul im Wohnzimmer. »Oder meinen Sie vielleicht, ich hätte ihn aus unerfindlichen Gründen getötet?«
Mitch steckte seine Daumen in den Hosenbund. »Ich behaupte nichts dergleichen, Paul. Wenn Sie sich fünf Minuten lang zusammenreißen würden, könnten wir es hinter uns bringen.«
»Sie kommen in mein Haus, beschuldigen mich, Gott weiß was getan zu haben – ich glaube, ich habe ein Recht darauf, mich aufzuregen!«
»Schön, aber Sie wissen, daß die Kinder nebenan sind, Paul. Haben Sie das Recht, sie auch aufzuregen und zu verängstigen? Wollen Sie das? Haben sie nicht schon genug durchgemacht?«
»Haben wir das nicht alle?«
»Zwei Verkäufer im Donut House sagen, sie hätten einen Wagen gesehen, der Ihrem aufs Haar gleicht.«
Paul sah ihn fassungslos an. »Doughnutverkäufer. Kommen Tage später daher, und Sie rennen mir die Tür ein.«
»Sie waren bis jetzt nicht in der Stadt.« Mitch kam mit gezücktem Zeigefinger auf Paul zu. »Es ist uns erst heute nachmittag gelungen, Sie ausfindig zu machen. Sie haben gesehen, was sie gesehen haben. Es ist mir egal, ob sie Doughnuts oder Eselsschwänze verkaufen. Sie haben beide auf dem Parkplatz neben Enbergs Büro ein Auto gesehen, das Ihrem erstaunlich gleicht. Also, ich frage Sie ganz höflich, Paul. Ich gebe Ihnen eine Chance, mir Ihre Version zu erzählen. Hören Sie auf, mich zum Narren zu halten, bevor ich sauer werde und Ihren Arsch aufs Revier zerre. Reden Sie, Paul«, befahl Mitch. »Und versuchen Sie nicht, mir zu erzählen, Sie wären nicht dagewesen, wenn Sie da waren. Montag werden wir die Fingerabdrücke haben.«
Paul ließ sich in einen Stuhl an der Stirnseite des Tisches fallen. »Ich wollte ihn sprechen . . . in einer persönlichen Angelegenheit. Er war betrunken. Ich bin gegangen.«
»Sie wollten einen Anwalt konsultieren, der einmal den Mann vertreten hat, der Ihren Sohn entführt hat. Interessant.«
Und jetzt war dieser Anwalt tot.
Und Anthony Costello wollte Joshs Krankenblätter sehen.
Hannah stand im Gang und hörte alles, und Stunden später, als die Uhr fast Mitternacht zeigte, fühlte sie sich immer noch völlig ausgelaugt. Sie suchte nach irgendeiner einfachen Tätigkeit, mit der sie sich beschäftigen konnte, aber das angebrannte Essen war entsorgt, der Rest der gefrorenen Pizza weggeworfen worden. Lilys Spielzeug lag in seiner Kiste, Joshs Videos waren ordentlich gestapelt.
Die Kinder lagen in ihren Betten. Lily hatte sich erst nach heftiger Gegenwehr geschlagen gegeben, übermüdet und unleidlich. Hannah schlich auf Zehenspitzen in ihr Zimmer. Das Nachtlicht warf einen sanften rosa Schein, der knapp das Gesicht ihrer Tochter berührte. Sie schlief schwer, Schweiß tränkte ihre goldenen Locken, ihre kleine Stirn war gerunzelt.
Welche Auswirkungen würde das alles auf sie haben, fragte sich Hannah. Sie war noch ein Baby. Würde sie sich später überhaupt an etwas erinnern? Würde das alles in ihrem Gedächtnis haften, sie ewig verfolgen?
Josh war ebenfalls wie bewußtlos, schlief flach auf dem Rücken, absolut reglos. Er war im Schlaf immer sehr aktiv gewesen, hatte Decken weggestoßen, sich in allen möglichen Positionen auf dem Bett ausgebreitet, hatte Plüschtiere mitgeschleppt und sie in der Nacht aus der oberen Koje des Doppelstockbetts auf den Boden fallen lassen. Seit seiner Rückkehr schlief er nur unten, mit seinem liebsten alten Plüschaffen, an sich gekuschelt.
Hannah schlich sich in sein Zimmer und setzte sich am Fuß des Bettes auf den Boden, wo sie ihn im Schlaf beobachten konnte, wo sie ihm wenigstens körperlich, wenn schon nicht seelisch nahe sein konnte. Sie hatte viel Zeit in diesem Zimmer verbracht, als er weg war, weil sie sich ihm dann näher gefühlt hatte. Und jetzt, wo er zu Hause war, fühlte sie eine Distanz, die nicht zu überbrücken war.
Sie wollte ihn an sich ziehen und allein durch die Kraft ihrer Liebe die Dunkelheit vertreiben, die sich wie Ruß über ihn gelegt hatte. Aber sie saß einfach da und fühlte sich hilflos und allein. Für jemanden, der sein Leben immer in der Hand gehabt hatte, war es wie ohne Ruder auf dem Ozean zu treiben.
Sie dachte an all die anderen Gelegenheiten, bei denen sie so mit ihm im Dunkeln gesessen, ihn behütet, für ihn geträumt hatte. Bevor er zur Welt kam, als die Unbequemlichkeiten der Schwangerschaft sie wachgehalten hatten, hatte sie lange, stille Nachtstunden im Sitzen verbracht, die Hand auf dem Bauch, und hatte an
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