Deer Lake 02 - Engel der Schuld
angehört und hielt es für wichtig genug, es gleich rüberzuschicken. Ich schlage vor, wir hören es uns gemeinsam an«, sagte er und legte die Kassette auf Grabkos Schreibtisch.
Ellen fühlte sich, als hätte man ihr einen Schlag mit dem Hammer verpaßt. Von wegen nicht gehört. Er würde nie einen so dramatischen Augenblick an eine Katze im Sack verschwenden. Tony Costello wußte genau, was auf diesem Band war, und er wettete darauf, daß es ihm dicke Punkte bringen würde.
Sie rutschte entschlossen auf die Vorderkante ihres Stuhls und stützte dicht neben dem Band eine Hand auf den Schreibtisch. »Ich muß Einspruch erheben. In der Liste des Beweismaterials der Verteidigung stand kein Wort von diesem Band. Wir haben keine Ahnung, woher es kommt, wie es beschafft wurde oder wer es mutma ß lich gebracht hat oder was dessen Motive sein könnten.«
»Mister York ist es bereits gelungen, zwei der Parteien, die Nachrichten auf dem Band hinterlassen haben, zu überprüfen, Euer Ehren«, sagte Costello. »Sie bestätigen, daß sie die Anrufe am Abend des Zwölften gemacht haben.«
»Hören wir's uns doch mal an«, sagte Grabko und griff nach der Kassette. »Wir können es uns alle gemeinsam anhören, und falls es irgendwelche Fragen betreffs seiner Echtheit oder Zulässigkeit gibt, werden wir uns später damit befassen.«
Der tüchtige Mister Dorman hatte ein Diktiergerät in der Tasche seines feinen Anzugs parat, holte seine Kassette heraus und reichte Grabko das Gerät.
Als erstes waren Hintergrundgeräusche zu hören, das Brummen eines Motors, dann kam die Stimme, und sie durchbohrte Ellens Herz wie eine Nadel.
»Dad, kannst du kommen und mich vom Eishockey abholen? Mom hat sich verspätet, und ich will nach Hause.«
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» Dad, kannst du kommen und mich vom Eishockey abholen? Mom hat sich versp ä tet, und ich will nach Hause. «
Seit drei Wochen hörte Paul im Geiste immer wieder die Stimme seines Sohnes. Eine endlose Schleife von Selbstvorwürfen und Selbstbeschwichtigungen marterte sein Gehirn.
Überlagert von Mitch Holts Stimme, leise und wütend.
Was zum Teufel haben Sie sich gedacht, Paul? Mein Gott, Josh hat Sie um Hilfe gerufen! Sie haben nicht einmal geantwortet. Sie reden sich ein, Sie h ä tten es nie geh ö rt. Sie sitzen drei gottverdammte Wochen lang auf diesem Band und sagen nicht ein verdammtes Wort dar ü ber. Wie wollen Sie das erkl ä ren, Paul? «
Überlagert von Ellen Norths eisiger Stimme.
» Die Verteidigung baut ein Verfahren gegen Sie auf, Mister Kirkwood. Ich bin mir nicht sicher, ob das eigentlich meine Aufgabe ist. Sie haben die Polizei angelogen. Sie haben uns Informationen vorenthalten . . . «
» Sie haben die Schuld auf Hannah abgew ä lzt « , sagte Holt. » Die ganze Zeit haben Sie ihr Schuldgef ü hle eingeredet. Dreckskerl. Sie hatten nicht einmal den Mumm, aufzustehen und die Wahrheit auszusprechen. «
Die Wahrheit wird dich befreien.
Die Wahrheit würde ihn ruinieren.
Er konnte nicht glauben, was ihm geschah. Nach allem, was er durchgemacht hatte. Nach allem, was er erlitten hatte. Und jetzt das. Verraten vom einzigen Menschen, von dem er glaubte geliebt zu werden. Karen. Es war für in unbegreiflich, daß sie sich so voll und ganz gegen ihn stellen konnte. Sie liebte ihn. Sie hatte Kinder von ihm haben wollen. Ihre Ehe mit Wright war nur Fassade – das hatte sie mehr als einmal gesagt. Garrett Wright konnte ihr nicht geben, was sie brauchte, was sie wollte. Garrett Wright liebte seine Arbeit, nicht seine Frau.
Paul erschauderte bei dem Gedanken an jenen Augenblick im Gerichtssaal. Alle Augen hatten sich auf ihn gerichtet, begierig, anklagend. Die Presse, um die er gebuhlt und der er vom ersten Tag an in die Hände gespielt hatte, hatte sich gegen ihn gewandt. Verflucht sollten sie alle sein. Sie hatten von Anfang an Hannah zu ihrer Heldin gemacht. Die trauernde, schuldgeplagte Mutter. Hannah mit ihren goldenen Locken und den tragischen blauen Augen. Hannah, die hingebungsvolle Ärztin, die Frau des Jahres. Hannah, Hannah, Hannah.
Jetzt würden sie sich mit überschwenglichem Mitleid ihr zuwenden, und er würde zum Opfertier werden. Sie würden nie fragen, was ihn aus seinem Zuhause getrieben hatte. Sie würden nie hören wollen, daß Hannah keine Ehefrau war, daß sie die Kinder wegen ihrer kostbaren Karriere vernachlässigte, daß sie ihr Bestes getan hatte, ihn zum Schlappschwanz zu machen.
Er hatte daran gedacht, zu ihr zu gehen, bevor sie es taten, aber
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