Deer Lake 02 - Engel der Schuld
sie hatten ihn eingekreist, ihn gequält, ihre Fragen brannten in seinen Ohren und bohrten sich in sein Gewissen. Sie waren ihm zu seinem Auto gefolgt, als er zu fliehen versuchte. Er war schließlich auf die Autobahn eingebogen und hatte das Gaspedal voll durchgetreten, und als der Tacho auf neunzig Meilen hochschnellte, waren sie endlich zurückgefallen.
Jetzt war es dunkel. Die Presse war sicher inzwischen im Haus gewesen und schon wieder fort. Hannah hatte sich den Reportern in der Vergangenheit verweigert – ein einziges Interview mit ihr war erschienen, nur ein Foto, auf dem der Priester sie ins Freiwilligenzentrum begleitete. Paul mußte glauben, daß sie sie wieder abweisen würde, selbst wenn sie dadurch die Chance einbüßte, ihn in aller Öffentlichkeit zu demütigen. Und die Reporter würden sie edel nennen, leidgeprüft, eine Frau ohne Fehl und Tadel, die man verraten hatte. Bei der Vorstellung drehte sich ihm der Magen um.
Zorn und Angst brodelten wie Säure in ihm, quälten ihn wie ein Virus, das durch seine Blutbahn raste und dicht unter seiner Haut pulsierte. Es breitete sich wie ein Pilz über sein Gehirn aus, und er fühlte sich fiebrig und benommen.
Er fuhr hinunter zum Seeufer, fuhr durch das Viertel, das er wegen seines Prestige ausgesucht hatte, auf das Haus zu, das er gewollt hatte, mit seiner Aussicht auf den See und mit dem Park an der Hintertür. Das war das Leben, nach dem er sich seit seiner Jugend verzehrt hatte. Jetzt würde es nur noch Hannah gehören. Sie würde das Mitleid und das Haus kriegen. Die Ironie war bitter wie Galle.
Er fuhr an Wrights Haus vorbei und kämpfte gegen den Drang, mit seinem Wagen einfach durch die Haustür zu fahren. Er hätte gern den Ausdruck auf Karens Gesicht gesehen, wenn er ihr gegenüberstand.
Ich liebe dich, Paul . . . Ich w ü rde dein Baby austragen, Paul . . . Ich w ü rde alles f ü r dich tun. «
Nur nicht vor Gericht für ihn lügen.
Sie hätte ihm ein Alibi geben können. Statt dessen ließ sie die Welt um ihn zusammenstürzen. Schöne Liebe.
Frauen. Huren, jede einzelne von ihnen. Der Fluch seines Lebens. Seine Mutter, Hannah, O'Malley, Ellen North . . . Karen.
» Ich bin l ä nger geblieben, weil ich eine Aff ä re mit Paul Kirkwood hatte. «
Hatte. Vergangenheit.
» Ich liebe dich, Paul . . . Ich w ü rde dein Baby austragen, Paul . . . Ich w ü rde alles f ü r dich tun . . . Es tut mir so leid - es war ein Irrtum . . . «
Ein Fehler.
Er hatte weiß Gott genug Fehler gemacht, nicht zuletzt den, dieses verdammte Band zu behalten.
» Wir wissen, da ß der Anruf vor achtzehn Uhr f ü nfzehn kam, Paul. Waren Sie da? Haben Sie ihn geh ö rt? Wohin sind Sie gegangen, nachdem Sie das B ü ro verlassen haben? Warum k ö nnen wir niemanden finden, der Ihre Geschichte best ä tigt? Warum haben Sie uns nicht von dem Anruf erz ä hlt, Paul? Wie konnten Sie zulassen, da ß Hannah die Schuld auf sich nimmt? «
Weil es ihre Schuld war. Alles. Wenn sie ihre Pflicht getan hätte . . . Wenn sie für ihren Sohn dagewesen wäre . . . Wenn sie eine anständige Frau gewesen wäre . . .
Schuld war das letzte, was Hannah empfinden wollte. Seit Wochen war sie darin ertrunken. Die Schuldgefühle einer Mutter, verbunden mit dem Gefühl der Ärztin, versagt zu haben, weil der Patient, für den sie an diesem Abend im Krankenhaus geblieben war, ebenfalls verloren war.
Hätte sie eine bessere Frau sein können, eine bessere Geliebte, hätte sie ihm mehr Unterstützung geben, weniger kritisch sein sollen? Was hatte sie getan, daß Paul sie so haßte? Warum hatte er sich Karen Wright zugewandt?
Ihre Fragen machten sie wütend. Es gab wichtigere. War Paul in seinem Büro gewesen, als Josh ihn an diesem Abend angerufen hatte? Warum hatte er gelogen und gelogen und gelogen – wegen des Lieferwagens, wegen so vieler Dinge? Warum hatte Josh solche Angst vor ihm? Warum schien er ihr so fremd? War er an den Schrecken beteiligt, die sich in den letzten drei Wochen ereignet hatten? Vielleicht fürchtete sie die möglichen Antworten so sehr, daß sie sich lieber von anderen Fragen ablenken ließ. Sie haßte sich für diese Fragen, aber Fragen machten ihren Mann noch nicht zum Monster.
» Glauben Sie, Ihr Mann hat Josh entf ü hrt? «
» Glauben Sie, er hat den Holloman-Jungen umgebracht? «
» Er hatte Zugang zu einem Lieferwagen . . . «
» Haben Sie von der Aff ä re gewu ß t? «
»Verflucht sollst du sein, Paul«, flüsterte sie. Sie zog ihre Hände aus
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