Deichgrab
Roten Haubargs. Sie lächelte.
»Es gibt eine alte Sage.«
»Wie sollte es auch anders sein.«
»Derzufolge hatte ein armer Freier dem Teufel seine Seele verschrieben, wenn der ihm in einer Nacht bis zum Hahnenschrei ein großes Haus bauen würde. Neunundneunzig Fenster hatte der Teufel bereits eingesetzt, als der Freier in seiner Verzweiflung seine Mutter weckte und ihr von dem Teufelspakt berichtete. Bevor der Teufel das hundertste Fenster einsetzen konnte, ging die Mutter in den Hühnerstall, packte den Hahn und schüttelte ihn, so dass er laut krähte. Da hatte der Teufel sein Spiel verloren.«
»Ein Teufelswerk also.«
»Sozusagen.«
29
Ich habe das Gefühl, jeder kann mir ansehen, was ich getan habe. Ich traue mich kaum noch unter die Leute, weil ich denke, schon an meinem Gesicht kann man ablesen, dass ich einen Menschen getötet habe. Obwohl das wahrscheinlich gar nicht stimmt. Wer würde mir einen Mord zutrauen? Außerdem hat ja noch nicht mal jemand den Verdacht, es könne an seinem Tod etwas unnormal gewesen sein.
Trotzdem habe ich das Gefühl, man betrachtet mich argwöhnisch, tuschelt hinter meinem Rücken.
Mit dem Vergessen ist es nicht so einfach, wie ich dachte. Jeden Tag werde ich daran erinnert, was mich dazu bewogen hat. Obwohl ich Rache für ein legitimes Motiv halte. Ich hatte lange darüber nachgedacht, aber es gab nur diese Möglichkeit. Schließlich hatte er mein Leben zerstört. Er war schuld an meinem Unglück, jedenfalls redete ich mir das ein. Was sollte sonst der Auslöser für diesen schrecklichen Zustand gewesen sein?
Aber besser geht es mir jetzt auch nicht. Zwar ist die Wut aus meinem Körper verschwunden, aber das, was ich mir von dem Mord versprochen hatte, ist auch nicht eingetreten. Wie auch? Was geschehen ist, kann auch sein Tod nicht rückgängig machen. So sehr ich es mir auch wünsche. Hätte es noch die Todesstrafe gegeben, ich hätte keine Möglichkeit ausgelassen, seine Schuld zu beweisen. Tod ist schließlich nicht immer nur das Ende eines körperlichen Daseins. Auch seelisches Morden muss bestraft werden. Vielleicht sogar härter. Wenn der Körper nur noch so vor sich hinvegetiert, nur noch funktioniert, man aber nicht mehr in der Lage ist, ihn zu nutzen, zu leben, ich denke, der, der dafür verantwortlich ist, hat mindestens eine ähnlich harte Strafe verdient.
Vielleicht habe ich geglaubt, mein Leben würde sich durch seinen Tod verändern, habe gedacht, es würde besser werden. Aber wenn ich jetzt mein Dasein betrachte, hat sich gar nichts geändert. Alles ist wie vorher. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass ich nachts nicht mehr schlafen kann.
Als Frank die Tür zu Broders Krankenzimmer öffnete, war er über den Besuch seines Vaters überrascht. Er hatte das Gefühl, in einem ungünstigen Moment in das Zimmer geplatzt zu sein. Sein Vater war blass, in seinen Augen konnte er Angst erkennen. Der Mann stand an dem Krankenbett, seine rechte Hand befand sich an dem großen, roten Knopf des Überwachungsmonitors. Frank konnte die Situation nicht so recht deuten.
»Guten Tag Herr Crutschinow. Vater?«
Über das Gesicht seines Vaters huschte ein Hauch von Erleichterung. Der Besucher zog blitzschnell seine Hand von dem Knopf, legte sie auf Broders Schulter.
»Dann alles Gute, Herr Petersen. Wir sehen uns.«
Er nickte kurz und verließ das Zimmer. Frank schaute ihm hinterher. Anschließend blickte er fragend zu seinem Vater. Der war in seinem Bett zusammengesunken.
»Was wollte er von dir?«
Broder schlug die Augen auf, holte tief Luft.
»Sehen, wie es mir geht.«
Er versuchte absichtlich, schnell das Thema zu wechseln.
»Wie geht es Meike?«
»Gut.«
Frank hatte keine Ahnung, dass sein Vater von Meikes Auszug wusste. Aber Broder hatte keine Kraft, mit seinem Sohn darüber zu diskutieren. Er schloss die Augen.
Sein Sohn setzte sich auf den Hocker, den Herr Crutschinow neben das Bett gestellt hatte. Nachdenklich betrachtete er ihn. Er sah, wie aufgewühlt sein Vater war. Der Brustkorb hob und senkte sich in kürzeren Abständen als üblich. Die Augenlider zuckten unkontrolliert.
»Hast du mir etwas zu sagen, Vater?«
Broder schwieg, aber das Piepsen des Monitors verriet seine Unruhe.
»Wenn irgendetwas nicht in Ordnung ist, musst du mir das sagen.«
»Es ist alles in Ordnung.«
Sie hatten sich einen Pharisäer und Erdbeertorte mit Sahne bestellt. Die Gaststube war gut besucht. Fast alle Tische waren besetzt.
Tom blickte Marlene
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