Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
Taschenlampe und stellte mich mitten ins Zimmer.
Ein paar Schritte vom Nordfenster entfernt blieb Isaak stehen. Sein Nackenfell sträubte sich.
Ich hielt den Atem an und lauschte. Mein Blick schoss von Fenster zu Fenster.
Plötzlich schüttelte Isaak sich. Er drehte sich zu mir um und wedelte lahm mit dem Schwanz.
Ich atmete auf.
Danach brachte ich es nicht über mich, hinauszugehen, also ließ ich die Fünf-Uhr-Ablesung sausen und funkte wieder einmal eine Entschuldigung zur Bäreninsel. Mich plagt deswegen ein schlechtes Gewissen. Der Gedanke, dass hier langsam alles beginnt, den Bach hinunterzugehen, gefällt mir nicht. Morgen werde ich meine Routine wieder aufnehmen.
Meine Routine. Daran klammere ich mich. Sie ist alles, was ich habe. Doch ich fange langsam an, mich wegen der Zeit zu sorgen – das heißt, darum, sie weiter nachvollziehen zu können. Meine Armbanduhr funktioniert immer noch nicht, und heute habe ich gemerkt, dass das Zeitmessgerät der Wetterhütte ausgefallen ist. Damit bleibt mir nur noch Gus’ Wecker, um die Zeit abzulesen. Wenn ich morgen hinausgehe, werde ich ihn in die Tasche stecken und mitnehmen, in einen Muff gewickelt, um ihn vor der Kälte zu schützen. Im Augenblick steht er im Hauptraum auf dem Tisch.
Der Wecker ist das einzige Ding, das mir noch sagt, dass die Tage vergehen. Zu Mittag gibt es kein Zwielicht mehr, und der Mond ist nur noch ein lichtloser Splitter. Morgen wird er endgültig fort sein.
Morgen ist Neumond.
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16
22. November
Letzte Nacht habe ich erfahren, was Bjørvik mir nicht erzählen konnte. Ich habe erfahren, was mit dem Fallensteller von Gruhuken geschehen ist.
Ich saß bis spät abends am Tisch, schrieb und sprach mit Isaak. Gegen elf ließ ich ihn hinaus, und als er wieder hereinkam, stellte ich ihm eine Schüssel Schnee in die Schlafkammer, und wir gingen zu Bett.
Sehr kalt draußen, minus fünfundzwanzig. Drinnen gefror unser Atem an den Wänden der Schlafkammer zu Raureif. Mir wurde nicht warm. Ich lockte Isaak zu mir in die Koje, doch er sprang bald wieder hinunter. Er rollte sich auf dem Boden zusammen, aber auch nicht sehr lange. Ich wusste nicht, ob er meine Unruhe übernahm oder etwas spürte.
Trotz zweier Schlafsäcke und der verbliebenen Rentierfelle konnte ich nicht aufhören zu zittern. Schließlich ging ich in den Flur hinaus, stöberte unter den Hundegeschirren unseren tragbaren Paraffinofen auf und trug ihn ins Schlafzimmer. Wegen Isaak musste ich die Packkisten von der gegenüberliegenden Wand zerren und den Ofen daraufstellen, damit er ihn nicht umstoßen konnte.
Viel besser.
Ich träume, dass ich mit Gus in einem Ruderboot sitze. Die Dünung schaukelt uns sachte. Es ist herrlich friedlich. Wir blicken gemeinsam über den Rand und beobachten den schwankenden Seetang im klaren Wasser.
Das Boot kippt leicht nach hinten, und ich drehe mich um. Eine Hand hat sich aus dem Wasser gereckt, um nach dem Dollbord zu greifen. Ich habe keine Angst, bin lediglich entschlossen. Ich werde nicht zulassen, dass dieses Ding sich aus dem Wasser hievt.
Ich halte ein großes Messer in der Hand und fange an, mit widerwillig verzerrtem Gesicht an den Fingern zu sägen. Die Klinge verhakt sich im Fleisch. Ich reiße sie los. Ich versuche es weiter. Es ist, wie ein Hähnchen zu zerteilen, bei dem man das Gelenk nicht getroffen hat und durch den Knochen sägen muss. Ich bin leicht angewidert, doch gleichzeitig finde ich es befriedigend.
Der Traum ändert sich. Jetzt bin ich im Wasser, tief unten im Dunkel. Wieder bin ich nicht ängstlich, nur angewidert. Ein ertrunkenes Etwas umkrallt mich mit seinen Armen. Wir rollen uns im glitschigen Seetang. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, doch ich spüre seine Wange an meine gepresst, kalt und weich wie fauliges Leder.
Jetzt bin ich an den Bärenpfosten gebunden. Diesmal habe ich Angst. Ich kann nicht sehen. Ich kann nicht sprechen. Ich habe keine Zunge. Ich rieche Paraffin. Ich höre Flammen knistern. Ich weiß, dass jemand ganz in der Nähe eine Fackel hält.
Ich höre das Geräusch von Metall, das über Fels geschleift wird. Grauen presst mein Herz zusammen. Es kommt näher. Ich kann nicht weg. Ich bin an Händen und Füßen gefesselt. Klink. Klink. Näher. Der Schrecken ist überwältigend. Es kommt mich holen. Ich kann mich nicht bewegen kann mich nicht bewegen …
Ich erwachte mit einem Schrei.
Isaak stupste mich mit der Schnauze an, seine Barthaare streiften meine Wange.
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