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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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ein kleiner Sherlock oder besser gesagt, wie ein falscher Holmes. Und dann rückte ich mit meinem Stuhl ein wenig nach hinten, in der plötzlichen Hoffnung, Tupras Füße sehen zu können. Ich hatte nicht auf seine Schuhe geachtet, und auf einmal kam mir der Gedanke, daß womöglich auch er ähnliche Stiefel trug und ich dabei war, ernsthaft ins Schleudern zu geraten. Ein Engländer: Es war unwahrscheinlich, aber man weiß nie, und er hatte einen seltsamen Nachnamen. Und er trug stets Weste, das war ein schlechtes Zeichen. Wie auch immer, ich hatte kein Glück, es gab keine Entfernung, der Tisch hinderte mich daran, seine Füße zu sehen. Ich fügte einschränkend hinzu, aber wenn sein Schuhwerk exzentrisch war, dann mußte es noch schlimmer wirken: »Natürlich kann man in einem Land, in dem der oberste Befehlshaber in der Öffentlichkeit als Landesfahne verkleidet und mit einer bordellroten Baskenmütze auftritt, wie ich ihn kürzlich im Fernsehen gesehen habe, nicht ausschließen, daß seine Generäle und Obersten solche Stiefel oder Holzpantinen oder Ballettschuhe oder sonst was tragen in diesen histrionischen Zeiten und bei einem derartigen Vorbild, das sich zur Nachahmung empfiehlt.«
    »Holzpantinen?« fragte Tupra, vielleicht mehr aus Spaß als weil er mich nicht verstanden hatte. Sabots , hatte er gesagt, das war das Wort, das ich benutzt hatte; dank meines einstigen Übersetzungsunterrichts in Oxford und meiner gelegentlichen praktischen Übungen für Tyrannen kenne ich die absurdesten Wörter auf englisch.
    »Ja, Sie wissen schon. Diese Holzschuhe, mit der abgerundeten Spitze. Die Krankenschwestern tragen sie und die Flamen natürlich, zumindest auf ihren Bildern. Ich glaube, auch die Geishas, mit Socken, nicht?«
    Tupra lachte kurz und ich ebenfalls. Vielleicht hatte er sich einen Augenblick lang den venezolanischen Herrn, der eben hinausgegangen war, mit Holzpantinen vorgestellt. Oder womöglich den leibhaftigen Chávez, mit soliden Holzpantinen und weißen Socken. Auf den ersten Blick und auf einem Fest war er ein sympathischer Mensch. Das war er auch auf den zweiten und in seinem Büro, obwohl er hier zu verstehen gab, daß man den Ernst der Arbeit niemals ganz verlieren, aber sich auch nicht nur in ihm einrichten dürfe.
    »Haben Sie gesagt: verkleidet als Landesfahne? Eingehüllt in die Landesfahne, wollten Sie wohl sagen«, fügte er hinzu.
    »Nein«, antwortete ich. »Der Stoff des Hemdes oder der Uniformjacke, ich erinnere mich nicht, war die Fahne selbst, mit Sternen und allem, ich versichere es Ihnen.«
    »Sterne? Ich kann mich jetzt nicht an die venezolanische Fahne erinnern. Sterne?« Er hatte das mit dem Schuhwerk nicht als Anspielung aufgefaßt, was mich erleichterte.
    »Sie hat Streifen, ich weiß nicht so genau. Einen roten, gelben, so kommt es mir vor, vielleicht einen blauen. Und irgendwo ein paar Sterne auf einem Haufen. Der Präsident war in Sterne gekleidet, dessen bin ich mir sicher, mit breiten Streifen, eine Uniformjacke oder ein Hemd mit waagerechten Streifen in diesen oder anderen Farben. Und mit Sternen eben. Vielleicht war es ein Liki-liki, eine Galakleidung ist das, glaube ich, ich weiß nicht, ob auch in Venezuela, in Kolumbien ist es so.«
    »Sterne. Tatsächlich.« Indeed hatte er gesagt, ohne fragenden Ton. Wieder lachte er kurz und ich ebenfalls. Das Lachen verbindet Männer uneigennützig miteinander und auch Frauen unter sich, und was es zwischen Frauen und Männern stiftet, kann ein noch stärkeres und strafferes Band sein, eine tiefere, komplexere und ihrer Dauerhaftigkeit wegen gefährlichere Verbindung oder eine mehr nach Dauer strebende. Das uneigennützig Dauerhafte trübt sich am Ende, wird manchmal häßlich und schwer zu ertragen, jemand muß auf lange Sicht in Schuld stehen, nur so funktionieren die Dinge, der eine oder der andere ein wenig mehr, Hingabe, Selbstlosigkeit, Verdienst können ein sicherer Weg sein, den Posten des Gläubigers zu gewinnen. So habe ich mit Luisa bei zahllosen Gelegenheiten gelacht, kurz und unverhofft, weil wir ohne vorherige Absprache das gleiche als komisch empfanden, beide kurz und gleichzeitig. Auch mit anderen Frauen, als erstes mit meiner Schwester; und einigen wenigen mehr. Die Art dieses Lachens, seine Spontaneität (seine Gleichzeitigkeit mit meinem vielleicht) haben mich augenblicklich wissend gemacht und veranlaßt, mich zu nähern oder zu entfernen, und einige Frauen habe ich so in ihrer Ganzheit gesehen, bevor ich sie

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