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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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sehr, sogar, wenn er sein Feind ist, und ich glaube, daß er es nicht ist.«
    Tupra griff nach seiner auffälligen roten Schachtel mit Pharaonen und Göttern und bot mir eine zweite Rameses II an, eine wenig übliche Geste auf den Inseln, zweifellos eine große Verschwendung, türkische Faser, ägyptische Schärfe, ich nahm sie. Aber sie war für unterwegs, nicht, um fortzufahren, denn während er sie mir darbot, stand er auf und ging um den Tisch herum, um mich zum Ausgang zu begleiten, er wies mit einer leichten Geste auf die Tür. Ich nutzte die Gelegenheit, um einen verstohlenen Blick auf seine Schuhe zu werfen, sie waren schlicht, mit Schnürsenkeln, braun, kein Grund zur Vorsicht. Er bemerkte es, er bemerkte fast alles, ohne Unterlaß.
    »Ist etwas mit meinen Schuhen?« fragte er.
    »Nein, nein, sie sind sehr schön. Und so sauber. Prächtig, beneidenswert«, antwortete ich. Sie bildeten einen Kontrast zu meinen schwarzen, ebenfalls mit Schnürsenkeln. In London gelang es mir nicht, mich soweit zu disziplinieren, sie täglich zu bürsten, das ist die Wahrheit. Es gibt Dinge, für die man Faulheit entwickelt, wenn man nicht zu Hause ist und im Ausland lebt. Aber ich befand mich ja durchaus zu Hause, oder zumindest gab es kein anderes im Augenblick, ich vergaß es viel zu oft, die Macht meiner Gewohnheit beharrte darauf, zuweilen das Unmögliche zu fühlen, daß ich noch immer zurückkehren konnte.
    »Ich werde Ihnen ein andermal sagen, wo Sie sie finden können.« Er schickte sich an, mir die Tür zu öffnen, er tat es noch nicht, er verharrte einige Augenblicke, die Hände auf dem jeweiligen Knauf der beiden Türflügel. Er drehte den Kopf, schaute mich von der Seite an, jedoch ohne mich sehen zu können, er konnte nicht, ich stand genau hinter ihm. Es war das erste Mal in dieser ganzen Zeit, daß seine regen, liebenswürdigen, auch ungewollt spöttischen Augen sich nicht mit meinen trafen. Ich sah nur seine langen Wimpern, im Profil. Der Neid der Damen, mehr noch im Profil. »Zuvor haben Sie gesagt, ›von den Prinzipien einmal abgesehen‹, wenn ich mich recht erinnere. Oder ›von der Theorie einmal abgesehen‹, kann das sein?«
    »Ja, ich glaube, ich habe so etwas gesagt.«
    »Ich habe mich gefragt.« Seine Hände lagen noch immer auf den Türknaufen. »Erlauben Sie mir die Frage: Bis zu welchem Grad sind Sie fähig, von den Prinzipien abzusehen? Ich meine, bis zu welchem Grad tun Sie es gewöhnlich? Sie beiseite lassen, die Theorie, nicht? Das tun wir alle ab und zu oder wir könnten nicht leben: aus Zweckmäßigkeit, aus Furcht, aus Notwendigkeit. Aus Aufopferung, aus Großmut. Aus Liebe, aus Haß. In welchem Ausmaß tun Sie es gewöhnlich?« wiederholte er. »Verstehen Sie mich.«
    In diesem Augenblick wurde mir klar, daß er nicht nur fast alles ohne Unterlaß bemerkte, sondern es auch registrierte und aufbewahrte. Das Wort ›Aufopferung‹ gefiel mir nicht, es hatte eine ähnliche Wirkung auf mich wie seine Worte zu Hause bei Wheeler, ›im Dienst meines Vaterlands‹. Außerdem hatte er hinzugefügt: ›Man muß das versuchen, wenn man kann, nicht wahr?‹ Obwohl er es dann sogleich relativiert hatte: ›Auch wenn der Dienst zweitrangig ist und man zuallererst auf den eigenen Nutzen bedacht ist.‹ Auch ich registrierte und bewahrte auf, mehr als normal ist.
    »Das kommt darauf an«, antwortete ich, und danach benutzte ich einen Plural ( them ), denn er hatte mich nur nach den Prinzipien gefragt, so hatte ich es verstanden. »Ich kann ziemlich von ihnen absehen, wenn es darum geht, bei einer Unterhaltung eine Meinung zu vertreten. Etwas weniger, um zu urteilen. Um Freunde zu beurteilen, sehr viel mehr, ich bin parteiisch. Um zu handeln, sehr viel weniger, glaube ich.«
    »Mr. Deza, danke für Ihre Mitarbeit. Wir werden mit Ihnen in Verbindung bleiben, hoffe ich.« In seinem Ton lag Wertschätzung oder eine Spur von Herzlichkeit. Jetzt öffnete er auch die Tür, beide Flügel zur gleichen Zeit. Ich sah noch einmal seine Augen, eher blau als grau im Licht des Vormittags, immer blaß, scheinbar amüsiert über jeden Dialog oder jede Situation, aufmerksam, immer saugend, es war, als würden sie ehren, was sie anschauten, oder sie brauchten gar nichts anzuschauen: alles, was sich in ihrem Gesichtsfeld befand. »Aber hier haben wir keine Interessen, das werden Sie verstehen, bitte«, fügte er übergangslos hinzu, obwohl er sich jetzt auf etwas nicht unmittelbar Vorangehendes bezog. Die meisten Leute

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