Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
wären nicht mehr darauf zurückgekommen, hätten diese so nebensächliche Bemerkung von mir (›ob es gut ist für Ihre Interessen oder nicht‹) nicht wieder aufgegriffen, es ist unglaublich, wie rasch die Worte, ob geschrieben oder gesprochen, ob leicht oder schwer, alle, die bedeutungslosen oder die bedeutungsvollen, verlorengehen und in die Ferne rücken und zurückbleiben. Deshalb muß man wiederholen, ewig und unsinnig wiederholen: seit dem ersten Wort, seit dem ersten menschlichen Gestammel, selbst seit dem ersten Zeigefinger, der wortlos zeigte. Ein ums andere Mal und noch ein weiteres und noch einmal vergeblich. Uns gingen sie nicht so leicht verloren, ihm und mir, zweifellos eine Anomalie, ein Fluch. »Wir beschränken uns darauf, unsere Meinung zu äußern, und das nur, wenn man uns darum bittet, natürlich. Wie Sie es gerade so freundlich getan haben, weil ich Sie darum gebeten habe.« Und wieder lachte er kurz, kleine, leuchtende Zähne. Mir klang es nach höflichem oder vielleicht ungeduldigem Lachen, und deshalb begleitete ihn das meine nicht, dieses Mal.

M ir war nie klar, ob ich im Fall von Oberst Bonanza aus Caracas oder aus dem Exil und dem Ausland in irgendeinem Punkt richtig geurteilt hatte, man teilte mir die Ergebnisse nicht mit, schon gar nicht klar und deutlich: Sie betrafen mich nicht und vielleicht auch niemanden sonst. Zuweilen gab es vermutlich nicht mal welche, und die Gutachten oder Berichte wurden wahrscheinlich archiviert, für alle Fälle. Und wenn Entscheidungen über etwas getroffen werden mußten (über die Unterstützung und Finanzierung eines Putsches, zum Beispiel), dann trafen sie wohl die diversen Verantwortlichen – die den jeweiligen Auftrag erteilt oder unsere Meinungen eingeholt hatten –, ohne mögliche Bestätigung oder Gewißheit und nur auf eigene Rechnung und Gefahr, das heißt indem sie auf das vertrauten oder nicht, setzten oder nicht, was Tupra und die Seinen gesehen und befunden oder vielleicht empfohlen hatten.
    Im ersten Augenblick vermutete ich jedoch naiv, daß ich nicht ganz falsch geurteilt haben konnte, denn schon wenige Tage nach jenem Vormittag, an dem ich zwiefach gedolmetscht hatte, die Sprache und die Intentionen – letzteres ungenau, aber sagen wir es vorerst so –, schlug man mir vor, meine Stelle bei Radio BBC aufzugeben und ausschließlich (oder vornehmlich) für Tupra zu arbeiten, mit ihm und seinem ergebenen Mulryan, der jungen Pérez Nuix und den anderen, mit theoretisch sehr flexibler Arbeitszeit und sehr viel mehr Verdienst, keine Klage in dieser Hinsicht, im Gegenteil, ich konnte mehr Geld nach Hause schicken. Das Gefühl, ein Examen bestanden zu haben, war unvermeidlich, und daß man mich in etwas aufnahm, was immer es war, damals stellte ich mir nicht viele Fragen darüber, auch nicht später und auch nicht jetzt, denn das Ganze war vielleicht immer ungenau (und das Undefinierte war sein Wesen), auch weil Sir Peter Wheeler mich ein wenig oder genügend darauf vorbereitet hatte: »Darüber werden dir die Bücher nichts sagen, kein einziges, nicht die ältesten, nicht die neuesten, nicht die ausführlichsten, die jetzt veröffentlicht werden, Knightley, Cecil, Dorril, Davies, ich weiß nicht, Stafford, Miller, Bennett, so viele, nicht mal kryptisch die seinerzeit kryptischen, Rowan, Denham, sie sind es noch immer. Such nicht bei ihnen. Du wirst nicht einmal Anspielungen finden. Du wirst nur die Geduld und Zeit verlieren.« Ich kann nicht sagen, daß er im Verlauf des ganzen Sonntags damals in Oxford ständig in halben Worten mit mir sprach, aber vielleicht doch in dreiviertel Worten, höchstens dreiviertel, niemals in ganzen Worten. Es kann sein, daß auch er sie nicht ganz kannte oder besaß, es kann sein, daß niemand sie besaß, nicht einmal Tupra, nicht einmal Rylands, als er lebte. Es kann sein, daß es sie nicht gibt.
    Die Aufnahme erfolgte nicht mit einem Schlag, ich meine, nachdem meine Anstellung vereinbart worden war, beauftragte oder beschäftigte man mich mit einzelnen Aufgaben, immer mehr, schrittweise, aber in ständig zunehmendem, lebhaftem Tempo, und nach einem Monat, vielleicht weniger, war meine Mitarbeit vollständig oder so empfand ich es. Die Modalitäten dieser Aufgaben variierten, ihr Wesen dagegen wenig oder gar nicht, es bestand darin, zuzuhören und aufzupassen und zu deuten und zu erzählen, darin, Verhaltensweisen, Fähigkeiten, Charakterzüge und Skrupel, Abneigungen und Überzeugungen, den Egoismus,

Weitere Kostenlose Bücher