Dein ist die Rache. McAvoys zweiter Fall: Ein Yorkshire-Krimi (Ein Aector-McAvoy-Krimi) (German Edition)
schäumend heraus.
»Scheiß-Schlitzaugen!«, brüllt er niemanden im Speziellen an, dann bemerkt er Tremberg. »Diesen Ronan verstehen sie verdammt gut, und der klingt die halbe Zeit so, als wäre er am Ersaufen. Und mich nicht? ›Anwalt‹ können sie verflucht gut aussprechen, diese verlogenen Drecksäcke. Wo waren Sie eigentlich? Verdammte Teilzeitkräfte …«
Tremberg lässt die Standpauke mit eingezogenem Kopf über sich ergehen und spürt plötzlich große Zuneigung zu McAvoy und Pharaoh in sich aufsteigen. Sie würde viel dafür geben, wenn sie hier die Leitung hätten. Sie hat heute gesehen, wie Colin Ray seine Erfolge erzielt. Wie er manchmal das Innerste von anderen Menschen nach außen kehrt. Und trotzdem führt das nur dazu, dass es in ihm noch mehr brodelt und der Widerwille in seiner Miene sich vertieft. Er hat etwas Gemeines an sich. Eine echte Bösartigkeit. Sie begreift, dass er gefährlich ist. Dass er, wenn er nicht so verdammt besessen davon wäre, Verbrecher zu fassen, selbst einer wäre.
»Ist die Dolmetscherin unterwegs?«, fragt Tremberg schließlich.
Ray spuckt auf den Linoleumboden. »Kann sich nur noch um Stunden handeln. Und der Assistant Chief Constable schnüffelt herum. Quatscht was von Vorschriften.«
Der kurze Siegesrausch des Morgens ist dahin. Die beiden vietnamesischen Pflanzer sagen kein Wort. Falls sie Englisch verstehen, können sie es gut verbergen.
Ray starrt eine Weile ins Leere.
»Ronans Foto«, sagt sie. »Gibt es da etwas Neues?«
Tremberg war mit dem älteren Mann im Verhörraum geblieben, während Ray den jüngeren bearbeitete. Sie weiß noch nicht, wie es gelaufen ist, aber nach Rays Miene zu schließen, kann sie es sich denken.
»Er kennt ihn, natürlich kennt er ihn«, sagt Ray böse. »Seine Augen wurden groß wie verdammte Untertassen, als ich es ihm zeigte. Dann kam wieder dieses vietnamesische Kauderwelsch und ein Haufen ›Nein, nein, nein‹. Genauso mit dem Foto von Shaun. Und den zwei anderen Schlitzaugen vom Foreshore. Herrgott, man sollte doch meinen, sie wollen ihren Landsleuten helfen. Ist ihnen denn nicht klar, worum es hier geht? Selbst wenn sie Pharaohs Informantin nicht selbst gefoltert haben, haben sie seelenruhig Gras angebaut, während sie verfaulend danebenlag und um Hilfe flehte.«
Ray schlägt sich mit der Faust in die hohle Hand. »Die werden nicht reden, oder?«
Tremberg antwortet nicht.
»Und Rourke genauso wenig. Ronan erst recht nicht. Sein Anwalt hat ihm geraten, die Schnauze zu halten. Shaz kriegt kein Wort aus ihm raus.«
Einen Moment lang stehen sie im Korridor, und keiner von ihnen weiß, was er tun soll.
Innerhalb von Sekunden klingeln ihre beiden Telefone. Sie wenden sich voneinander ab. Ray zu Archer. Tremberg zu McAvoy.
»Hallo, Helen. Alles in Ordnung? Ich habe von der Razzia gehört. Was geht vor? Ich dachte, Sie wollten letzte Nacht nach Hause gehen. Sonst wäre ich mit Ihnen gekommen. Waren Sie mit Ray zusammen? Und Leanne, es geht ihr gut, ja? Weiß Pharaoh Bescheid? Geht es Ihnen gut?«
Tremberg lächelt.
So viel Wertschätzung hat sie den ganzen Tag noch nicht gefühlt.
»Könntest du die bitte verstreichen, Suze?«
Eine Dame mittleren Alters weist mit dem Kinn auf ein Tablett mit Brötchen. Suzie ist erleichtert. Die Dame trägt nichts als eine Plastikschürze über etwas, das wie ein Mieder mit Schulsöckchen aussieht, und einen kurzen Augenblick lang hatte Suzie befürchtet, sie würde sie bitten, etwas Ungewöhnlicheres mit dem Becher Margarine anzustellen.
»Übertreib’s nicht«, sagt die Dame, als Suzie sich an die Arbeit macht. »Bloß ganz dünn.«
Diesen Aspekt des Swingerdaseins und eines ausschweifenden Sexlebens empfindet Suzie als angenehm surreal. Trotz der verrückten Kostüme und spontanen Blowjobs sind diese Treffen nicht viel anders als normale Partys. Die Mehrzahl der heutigen Gäste wird den Tag zwar splitternackt verbringen, aber die Hausbesitzer bereiten ein Buffet mit Appetithäppchen vor, und bis jetzt hat noch jeder Ankömmling eine Flasche Wein, einen selbstgebackenen Kuchen oder eine Karte für das Geburtstagskind mitgebracht.
Es ist vier Uhr nachmittags, ein schöner, aber kalter Samstag. Suzie hat es in die große, altmodische Küche des weiß getünchten Bauernhauses gezogen, das inmitten von zwölf Morgen Acker- und Waldland steht. Sie trägt einen kurzen Jeansrock, bis zu den Oberschenkeln reichende Stiefel und eine venezianische Maske, die sie auf den Kopf
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