Dein ist die Rache. McAvoys zweiter Fall: Ein Yorkshire-Krimi (Ein Aector-McAvoy-Krimi) (German Edition)
einzugeben. »Jarod, richtig? Interessanter Name.«
Melissa zuckt die Achseln, als wäre sie im Moment nicht besonders an Jarod interessiert. Suzie wird unter den Blicken der älteren, größeren Frau etwas unbehaglich. Sie hat dieses Spiel natürlich schon gespielt. Hat öfter damit experimentiert. Sie hätte nicht gedacht, dass sie heute Abend etwas dagegen hätte, aber sie spürt keinerlei Erregung in sich aufsteigen. Möchte einfach nur über die Felder schauen und eine Weile gar nicht richtig da sein. Die Ereignisse der letzten Woche liegen ihr bleiern wie ein Haufen kalter Münzen im Magen. Sie fühlt sich niedergeschlagen und vergiftet. Hat ständig das Gefühl, Blut zu schmecken, wenn sie schluckt. Sie lebt von Sekunde zu Sekunde, sucht Vergessen in Heiterkeit und Betäubung, will nicht zulassen, dass ihre Gedanken sich zu Fragen formen. Sie weiß, sie kann nicht ignorieren, was geschehen ist. Weiß, dass sie einen Mann zum Sterben liegen gelassen hat. Und sie hat Angst um ihre eigene Sicherheit. Aber sie kann dieses Gefühl nicht unterscheiden von der Einsamkeit und Verlassenheit, die seit Simons Tod ihre ständigen Begleiter sind. Mehr als alles andere kehren ihre Gedanken immer wieder zu Anthony zurück. Es ist lange her, dass sie so empfunden hat. Dieses Gefühl wundervollen Erschauerns, wenn man sich fragt, ob jemand einen gernhat …
»Das ging ja schnell«, sagt Melissa. Sie zeigt auf Suzies leere Flasche. »Ich hol dir etwas Richtiges zu trinken.«
Suzie hebt ihre Maske und lässt sie wieder herunter. Es gefällt ihr, so halb verborgen zu sein. Sie ordnet ihre Kleidung. Entblößt die Lilien auf ihrer Haut.
»Hi«, ertönt eine Stimme so nahe an ihrem Ohr, dass sie eine Gänsehaut bekommt.
Sie dreht sich um. Sieht in Jarods durchdringend grüne Augen.
»Tolles Tattoo«, sagt er und zeichnet mit der Hand das Design nach. Die Berührung lässt sie erschauern.
»Danke.« Ihre Stimme klingt belegt.
Ein halbes Lächeln im Gesicht des jungen Mannes; seine Augen auf ihrer tätowierten Haut.
»Ich glaube, nach dir habe ich gesucht.«
Nacht. Eine formlose Landschaft im nördlichen Lincolnshire; grüne Felder und gutgepflegte Apfelbäume. Zwei lachende Gestalten: in Teer gekratzte Strichmännchen.
»Dürfen wir das denn auch?«
»Natürlich«, lacht Suzie. »Wir dürfen alles.«
Sie fühlt sich angenehm beschwipst. Ihr dreht sich der Kopf, aber eher wie in einem Karussell als auf einer Tanzfläche. Sie fühlt sich leicht. Nicht glücklich, aber ganz zufrieden in diesem Schwindelgefühl.
»Ist dir kalt?«
»Ich werd’s überleben.«
Der Nachthimmel hat die Farbe von angeschlagenen Früchten, bleibt jedoch wolkenlos, und obwohl die Luft sie kalt umstreicht, hat sich der Wind gelegt.
Suzie und Jarod tragen Bademäntel über nackter Haut. Bis gerade eben haben sie noch im heißen Whirlpool Wein getrunken, zusammen mit einem Ehepaar aus Reading und einem großen Asiaten mit unglaublicher Körperbehaarung, den niemand zu kennen scheint.
Suzie trinkt seit sieben Stunden. Den Gedanken ans Heimfahren hat sie schon lange aufgegeben. Betrunken, albern, erregt, wie sie ist, fällt ihr nichts mehr ein, was sie nach Hause ziehen könnte. Sie erträgt den Gedanken an die leere Wohnung nicht. Schüttelt sich bei der Vorstellung, an ihrem Küchentisch zu sitzen und über einen besseren Zeitvertreib nachzudenken, bevor sie sich doch wieder den Dating-Sites und Pornokanälen zuwendet, um sich davon abzulenken, dass jemand sie zu ermorden versucht und ihr bester Freund sich das Leben genommen hat …
»Da entlang«, sagt sie, während sie ein altes Holztor aufhält und auf die sechs Trittsteine zeigt, die zum Fluss führen.
»Hübsch«, sagt Jarod und berührt ihre Hüfte mit der Hand. Er übernimmt die Spitze und lässt sich vom Geräusch plätschernden Wassers leiten.
»Jemand da?«
Er und Suzie verziehen erwartungsvoll das Gesicht, während sie der Antwort harren, dann kichern sie über ihre eigene Albernheit. Suzie fühlt, wie ihr innerlich warm wird. Es macht Spaß, Spielchen mit diesem jungen, attraktiven, lustigen Mann zu spielen. Sie stellt sich einen winzigen Moment lang vor, es hätte die letzten paar Monate nicht gegeben. Dass sie mit Simon herumalbert und der Tod noch nicht in ihr Leben getreten ist.
»Ist es tief?«
Unterhalb des Miniaturwasserfalls ist der Bach am breitesten, vielleicht zwei Meter. Das Bachbett besteht aus Schlick und Steinen, und der sandige Uferstreifen geht ins weiche,
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