Dein ist die Rache. McAvoys zweiter Fall: Ein Yorkshire-Krimi (Ein Aector-McAvoy-Krimi) (German Edition)
hurenhaft wirkte.
Sie schlottert in einem kurzen blauen Rock und einer Secondhand-Lederjacke, die ihr bis zu den bloßen Knien reicht. Die Haare hat sie zurückgebunden, und das Make-up ist so dick, dass es bei einem unverhofften Sturz aufs Gesicht als Stoßdämpfer dienen könnte.
Die hochhackigen Schuhe, auf denen ihr neuer Spielgefährte bestanden hat, liegen auf dem Beifahrersitz ihres Fiat Panda. Die Stilettoabsätze verhaken sich ständig in der Fußmatte, wenn sie aufs Gaspedal tritt, deshalb hat sie sie bei der letzten Ampel abgestreift. Sie fährt jetzt barfuß und ist nicht sicher, ob ihr dieses Gefühl von feuchtem Schmutz und Metall an den Fußsohlen gefällt.
Das Wetter ist scheußlich. Der Regen legt sich wie ein nasses Netz über die schwarze Straße. Er scheint nicht zu fallen, sondern geisterhaft, allgegenwärtig und bis auf die Knochen gehend in der frostigen, ölig-dunklen Nacht zu hängen.
Suzie wünscht sich, Simon wäre bei ihr. Sie kann sich ihn mühelos vor Augen rufen; sieht ihn vor sich, wie er im Beifahrersitz eine Selbstgedrehte raucht und ihr sagt, wie schön sie ist.
Diese Sehnsüchte sind ihr nicht neu. Suzie wünscht ihn sich so sehr zurück, dass es fast die Intensität eines Gebets hat. Doch heute Nacht entspringt es eher einer vagen Sorge um ihre Sicherheit als dem Bedürfnis, mit ihrem besten Freund zu lachen und zu schwatzen.
Es ist beinahe neun Uhr abends. Das ist ihr dritter Besuch hier, aber es ist das erste Mal, dass sie allein kommt.
Sie erinnert sich noch an Simons SMS, als sie ihm zum ersten Mal davon erzählte, dass sie gehört hätte, es sei ein beliebter Treffpunkt für Paare und Singles an der Küstenstraße nach Bridlington.
»Parkplatz Coniston – wo Träume wahr werden.«
Es ist eine kleine Straße zwischen zwei mittelgroßen Ortschaften, etwa fünfzehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, die es zumindest in gewissen Kreisen zu Berühmtheit gebracht hat. In der Zeitung wird sie, obwohl Suzie das Wort nicht gefällt, als »Dogging«-Platz bezeichnet, eine Spielwiese für Exhibitionisten. Hier treffen sich Singles und Paare, um eine Schau für jene Handvoll Typen abzuziehen, die in ihrer Freizeit gerne im Dunkeln in ihren Autos sitzen und hoffen, dass das nächste Scheinwerferpaar im Rückspiegel einen Blowjob bedeutet und nicht die Polizei.
»Was hast du hier eigentlich zu suchen? Also ehrlich, Suze!«
Diese Frage stellt sie sich, während sie ihr kleines, verbeultes Auto langsam in die pechschwarze Einfahrt zu dem einsamen Parkplatz lenkt.
Er liegt mindestens eineinhalb Kilometer weit vom nächsten Haus entfernt.
Nervosität breitet sich in Suzies Magen und Schenkeln aus, aber es als sexuelle Erregung zu bezeichnen wäre falsch. Sie tut das nicht wegen Sex. Nicht nur. Sie will spüren, dass sie am Leben ist. Jemand sein, der nicht ausschließlich in einer Traumwelt lebt, sondern Phantasien in die Tat umsetzt. Es wäre ein Zeichen von Schwäche, sich selbst die Erregung zu verweigern.
In der Zeit ihrer Verlobung war Sex zu Routine verkommen. Das Leben war okay. Immer auf der sicheren Seite. Aber als ihr dann das Herz gebrochen wurde, verlor Suzie ihre Mitte. Tat Dinge, die sie sich zuvor nie hätte vorstellen können. Entdeckte Quellen der Lust und des Zorns und beging Fehler, die sie in ein völlig neues Sein hineinkatapultierten. Sie ließ sich auf One-Night-Stands und Büroaffären ein, verschwitzte Kopulationen in Nachtclubtoiletten und auf den Rücksitzen von Autos. Sie las und sah Erotika. Kaufte sich Spielzeuge, um sich selbst zu befriedigen, wenn sie keinen Partner finden konnte. Machte gleich zu Beginn einer Konversation klar, dass sie keine Spielverderberin war. Sondern bis zum Ende gehen würde.
Bei einem ihrer Rendezvous lernte sie einen attraktiven älteren Mann kennen, der ihren Hunger auf das Unbekannte bemerkte. Er führte sie in die Websites und Foren ein, wo gleichgesinnte Menschen Spaß für Erwachsene fanden. Und sie hatte sich in dieses Leben gestürzt. Normalen Sex empfand sie bald als vergleichsweise langweilig und fad. Sie entwickelte so viel Gefallen an der Verruchtheit dieser schäbigen Kopulationen zu zweit oder zu dritt, dass sie Einladungen von Freunden zugunsten mitternächtlicher Eskapaden mit Fremden ausschlug.
Simon war ihr einziger Vertrauter. Kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten, geschah etwas, das sie in einer Freundschaft ohne Vorurteile zusammenschweißte: Beide konnten ganz frei sie selbst sein, was immer
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