Dein ist die Rache
Blick zurückzuwerfen. Es gibt Zeiten, da haben sie beide das Gefühl, jemanden aus einem anderen Zeitalter geheiratet zu haben. Er versucht, sie zum Lächeln zu bringen.
»Lilah war großartig, nicht wahr?«
Mit einer Willensanstrengung lässt Roisin zu, dass er sie auf andere Gedanken bringt.
»Sie hat mein Lachen, nicht deines.«
»Was für ein Glück«, sagt McAvoy. »Sonst würden die Leute erschrecken.«
Fin erscheint in der Tür. Er zieht einen Flunsch und will jetzt endlich den Film sehen.
»Geh schon runter mit Mama«, sagt McAvoy. Er schiebt Roisin in aufrechte Position. »Ich mache noch ein oder zwei Anrufe, dann komme ich nach.«
Sie betrachtet ihren Mann. Verwuschelt ihm die Haare und beugt sich zu ihm, um die kratzigen Stoppeln auf seinen Wangen zu streicheln. »Du bist mein Held.«
Die Familie trappelt nach unten und lässt McAvoy allein im Schlafzimmer zurück. Er greift nach dem Laptop, der neben dem Bett am Ladegerät hängt, und legt ihn sich auf die Knie, lehnt sich ans Kopfbrett. Dem Gerät war der Saft ausgegangen, während sie sich letzte Nacht im Bett Urlaubsziele ansahen. Auf dem Bildschirm ist noch ein See in Schweden zu sehen. Es ist der Blick aus einer abgelegenen Blockhütte, die sie sich hoffentlich im Winter für etwa eine Woche werden leisten können. Ob sie die Reise antreten oder zu Hause bleiben müssen, hängt davon ab, ob die Versicherung für den Minivan bezahlt. Er macht sich keine übertriebenen Hoffnungen.
Er loggt sich mit Fernzugriffscode und Passwort bei seinen Arbeits-E-Mails ein. Checkt die Nachrichten. Noch nichts von der Technik, nur eine Zeile des Danks von ACC Everett für das Umschreiben seiner Rede. Sie scheint gut angekommen zu sein.
Er schürzt die Lippen und fürchtet, damit noch mehr Probleme heraufzubeschwören, greift aber trotzdem auf den zentralen Polizeicomputer zu. Er gibt den Namen »Giuseppe Noye« ein und stößt pfeifend die Luft zwischen zusammengepressten Lippen aus, als der Bildschirm sich mit den kriminellen Aktivitäten eines 48-jährigen Gewohnheitsverbrechers füllt. Er überfliegt die verschiedenen Delikte. Bewaffneter Raubüberfall. Körperverletzung. Hehlerei. Der Mann hat vier verschiedene, längere Haftstrafen hinter sich. Wurde erst letzten September entlassen und hat kein einziges Treffen mit seinem Bewährungshelfer eingehalten. Es besteht ein Haftbefehl für ihn.
McAvoy ruft das Polizeifoto auf. Vergrößert das Bild, bis es den Bildschirm füllt. Betrachtet die einfältigen Züge eines untersetzten Mannes mit kurzgeschnittenen Haaren und kleinen Schweinsäuglein, dessen Wangen und Kiefer mit grauen Stoppeln bedeckt sind. McAvoy sieht nach der Körpergröße. Ein Meter achtundachtzig. Er nickt leicht.
»Okay«, haucht er.
Er will schon Schluss machen, als er auf die Idee kommt, nach Noyes persönlichen Kontakten zu suchen. Er weiß nicht, ob er erwartet, Ronan zu finden oder Roisin.
Er scrollt die Liste nach vertrauten Namen durch. Stoppt bei Alan Rourke. Die beiden haben 1993 gemeinsam einen bewaffneten Raubüberfall begangen. Drangen in ein Postamt in einem Dorf in der Nähe von Leicester ein. Zunächst ein ganz normaler Überfall: ein Haufen Lärm und Gebrüll, eine Schrotflinte unter der Nase der Postmeisterin. Sie waren schon fast davongekommen, als Noye auf dem Weg zur Tür hinaus plötzlich registrierte, dass er den Namen »Al« benutzt hatte, als er seinem Partner Anweisungen zuschrie. Trotz Rourkes Protesten stieg er wieder aus dem Fluchtwagen, um die Zeugin zum Schweigen zu bringen. Rourke und Noye stritten sich immer noch vor dem Postamt, ob sie der Liste ihrer Verbrechen auch noch Mord hinzufügen sollten, als die Polizei auftauchte. Die Verfolgungsjagd war kurz. Rourke baute mit dem gestohlenen Toyota einen Unfall, und beide Männer wurden verurteilt. Sie haben sieben Jahre einer zwölfjährigen Strafe abgesessen.
McAvoy macht sich ein paar Notizen. Schließt die Augen, weil ihm klar ist, dass er sich Ärger einhandeln wird. Dann greift er zum Handy und ruft Colin Ray an.
»Was wollen Sie?« Die Stimme klingt müde und mürrisch.
»Es geht um Alan Rourke«, sagt McAvoy. Er will einfach sagen, was er zu sagen hat, und den Anruf hinter sich bringen. »Einen seiner Komplizen. Ein gewisser Giuseppe Noye. Es könnte lohnend sein, ihn sich näher anzusehen.«
Schweigen am anderen Ende der Leitung. McAvoy fragt sich, wo der andere sich gerade aufhält. Merkt dabei, dass er privat herzlich wenig von ihm weiß. Nur
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