Dein ist die Rache
dass er zweimal geschieden ist und eine Wohnung irgendwo in der Stadtmitte hat. Er versucht, sich sein Leben vorzustellen. Kann sich den älteren Mann nur schwer ohne Shaz Archer im Schlepptau denken. Die Frage schießt ihm durch den Kopf, ob an ihrer Beziehung mehr dran ist als die Dynamik zwischen Mentor und Protegé. Darüber haben sich bestimmt auch schon andere Kollegen vor ihm Gedanken gemacht. Ob ähnliche Gerüchte über ihn und Trish Pharaoh in Umlauf sind?
»Es ist Sonntagmorgen, mein Junge. Ich bin beschäftigt.«
»Ach ja?« McAvoy möchte nicht geschwätzig erscheinen. Aber er ist nun mal neugierig.
»Ich hole gerade die Jungs ab. Fußball.«
»Ja? Wer spielt denn?«
»Wir natürlich, Sie blöder Hund. Auswärtsspiel in Bridlington.«
McAvoy erinnert sich dunkel an eine Unterhaltung mit Colin Ray, kurz nachdem er zu dieser Einheit gestoßen war. Ihm fällt wieder ein, dass der ältere Mann eines der Polizeifußballteams trainiert. Und auch der Gesichtsausdruck, als McAvoy ihm erklärte, dass er eher auf Rugby und Boxen stand und sich nicht für Fußball interessierte.
»Sind Sie im Auto?« McAvoy möchte gerade anbieten, später noch einmal anzurufen, wenn es sicherer ist.
»Was zum Henker wollen Sie?«
McAvoy errötet. Wünscht sich, er besäße im Gespräch mit Leuten dieses gewisse Maß an Souveränität und Gelassenheit.
»Es geht um einen von Alan Rourkes ehemaligen Komplizen. Ein echter Krimineller. Ein gewisser Giuseppe Noye. Er ist außerdem der Pate von Ronan.«
Eine Pause am anderen Ende der Leitung. »Noye?«
»Ja. Bewaffneter Raub.« Er überlegt kurz, ob er mehr ins Detail gehen soll. Aber es lässt sich nicht vermeiden. »Roma.«
Ray gibt ein bellendes Lachen von sich. »Was Sie nicht sagen!«
McAvoy verstummt. »Ich dachte, es könnte sich lohnen, da zu recherchieren. Das ist alles.«
Er hat versucht, bei der Rourke-Ermittlung auf dem Laufenden zu bleiben, aber er weiß nur, dass der alte Räuber während des Verhörs die Klappe gehalten hat. Bei »Kein Kommentar« blieb. Der junge Ronan hatte kaum etwas gesagt. Verlor die Beherrschung und brüllte nur herum. Weder Ray noch Archer konnte etwas Sinnvolles aus den beiden herausbekommen, und sie hatten wohl auch kaum mehr erwartet. Obwohl sie dann ziemlichen Wirbel machten, als Ronan und Rourke auf Kaution freikamen. Der Junge gab als Wohnort Rourkes Adresse an, und der ältere Mann wurde als sein gegenwärtiger Vormund eingetragen. Der soziale Dienst gab sich damit zufrieden. Und Ronan verdrückte sich, sobald er zur Tür hinaus war.
»Ich kenne den Namen Noye«, sagt Ray leise. Er denkt anscheinend nach. »Ein Kämpfer, oder? Boxer. Harte Bandagen.«
McAvoy weiß nicht recht, wie er reagieren soll. Googelt Noyes Namen, um sich abzulenken. »Ein Boxer? Ich glaube nicht …«
»Nein, so Roma-Kram«, sagt Ray. »Kämpfe mit bloßen Fäusten. Ich glaube, er gehört zu diesem Kreis.«
McAvoy findet einen Link zum Namen des Zigeuners. Klickt ihn an. Es schnürt ihn innerlich zusammen, als er ein Video von Noye sieht, der mit nacktem Oberkörper und getapten Fingerknöcheln eine Rechte nach der anderen in die Rippen eines jüngeren Mannes schmettert, während eine Gruppe Zuschauer in einem losen Kreis um sie herumsteht. Ein muskulöser Mann im weißen T-Shirt versucht, sie zu trennen. Eine gewisse Ordnung aufrechtzuerhalten. Er hat alle Mühe damit.
»Das ist illegal.«
»Kommen Sie, mein Junge«, sagt Ray. »Alles, was Spaß macht, ist illegal. Und die Ziggos treiben den Scheiß doch schon seit Jahrhunderten. Ehrenkämpfe nennen sie das. Ist heute das große Geschäft. Sie werden arrangiert wie Profikämpfe. Große Zuschauermengen. Und hohe DVD-Verkäufe.«
»Ich sehe ihn gerade im Ring«, meint McAvoy. »Wie ist das möglich, dass ich einen illegalen Kampf sehen kann? Ich habe nur einen Link angeklickt …«
Ray lacht freudlos auf. »Ich wollte, ich könnte die Welt so sehen wie Sie, mein Junge. Grundgütige Scheiße.«
McAvoy stoppt das Video, als die Kamera über Noyes verzerrtes, blutbespritztes Gesicht schwenkt. Seine bandagierten Knöchel sind rot verkrustet.
»Das Verhör«, sagt McAvoy. »Ronan.«
Ray lacht abermals. »Beschissen«, sagt er. »Mussten den kleinen Drecksack sedieren. Jedes Mal wenn sie ihn in die Zelle brachten, drehte er durch. Warf sich gegen die Wände. Er war nicht gerade glücklich Ihretwegen.«
»Meinetwegen?«
»Er ist ein bisschen angefressen, weil Sie ihn wie einen Sack Scheiße
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