Dein ist die Rache
an.
»Noye«, sagt sie. »An dem neuen Lagerplatz. Anlaby. Dort will er dich treffen.«
McAvoys Miene verzerrt sich. Er fragt sich, welche Lasten seinen breiten Schultern heute denn noch aufgebürdet werden sollen.
»Ich bin Polizist.«
Sie vergewissert sich, dass er ihr direkt in die Augen sieht, und antwortet: »Du bist ein Mann.«
Er sagt nichts mehr. Zieht nur im Gehen leise die Tür hinter sich zu. Stellt weder den Kragen hoch, noch senkt er den Kopf, während er durch den prasselnden Regen geht. Schließt seinen Wagen auf und steigt ein. Lässt den Motor an und findet etwas Beruhigendes auf einem Klassiksender.
Schaltet die Scheinwerfer ein.
Überprüft sein Funkgerät und nickt.
Suzie fährt mit ihrem winzigen Peugeot an der Spitze ihres kleinen Konvois aus drei Autos. Sie starrt mit zusammengekniffenen Augen in den Regen und die wachsende Dunkelheit, zuckt zurück vor den verzerrten Scheinwerferlichtern vorne und hinten und ist sich darüber im Klaren, dass ihr die Knie nur aus dem Grund nicht schlottern, weil sie es nicht wagt, den Motor abzuwürgen.
Auf dem Beifahrersitz piepst das Telefon, das Pharaoh ihr gegeben hat. Sie liest den Text. Er wurde von ihrem eigenen Telefon aus weitergeleitet.
Muss deine Haut schmecken. Lass mich nicht warten.
Sie schließt die Augen so lange, wie sie es während der Fahrt wagt. Blickt instinktiv zum Beifahrersitz. Fragt sich, ob sie Simons Gegenwart tatsächlich spürt oder sich nur danach sehnt.
Im zähflüssigen Verkehr brauchen sie fast eine Stunde. Zweimal fürchtet sie, McAvoy und Pharaoh verloren zu haben, aber immer wenn sie rechts ranfahren und warten will, blinkt das Telefon, um ihr zu sagen, dass sie sie im Blick haben. Dass sie nicht allein ist.
Es wird einfacher, als sie die Autobahn erreichen. Sie fährt konstant hundertzehn Stundenkilometer. Versucht, Ruhe aus dem gleichmäßigen Summen der nassen Reifen auf der Fahrbahn zu schöpfen. Konzentriert sich auf ihre Atmung. Wünscht sich halb, Roisin hätte ihren Ehemann gebeten, mitkommen zu dürfen.
Sie kennt das Hotel. Es liegt knapp fünf Kilometer von Goole entfernt, nicht weit von der Autobahn. Sie wartete zwei Stunden lang auf dem Parkplatz, während Simon sich mit einem Mann vergnügte, den er auf der Website kennengelernt hatte. Sie hatte ein bisschen gezeichnet und ein McChicken gegessen. Simon hatte den Nachmittag genossen. Sagte, der Mann sei dankbar und freundlich gewesen.
Suzie parkt. Sie möchte sich die anderen Autos auf dem dunklen, nassen Parkplatz ansehen. Will wissen, ob ihr Mörder bereits da ist. Verkneift es sich. Steigt aus, drückt den Rücken durch und betritt erhobenen Hauptes das Hotel.
»Was kann ich für Sie tun?«
Der Mann an der Rezeption ist jünger als sie. Er wirkt gelangweilt, und sein Hemd ist zu groß für seine hagere Gestalt.
»Ich habe ein Zimmer reserviert.«
Sie nennt ihren Namen. Versucht, ruhig zu bleiben, während er mit dem Computer kämpft und ihr endlich eine Schlüsselkarte reicht. Er mustert sie wie ein Stück Vieh. Besitzt auch noch die Frechheit, anerkennend zu nicken.
»Zweiter Stock«, sagt er.
Sie nimmt die Treppe. Kann den Gedanken nicht ertragen, der Aufzug könnte verspiegelt sein. Will sich nicht selbst ins Gesicht sehen müssen.
Sie ballt die Fäuste, beißt die Zähne zusammen, findet das Zimmer. Schiebt die Schlüsselkarte hinein und stößt die Tür auf. Schaltet das Licht ein und sieht sich in dem düsteren, unpersönlichen Raum um, während das Herz ihr schmerzhaft gegen die gebrochenen Rippen hämmert.
Wieder eine Nachricht auf ihrem Telefon, diesmal von McAvoy.
Nur Mut. Ich bin da.
Sie zieht sich aus. Streift den geborgten Rock und die Leggings ab. Versucht, die Falten aus ihrer nicht makellosen Haut zu streichen. Holt das Stück Seil aus ihrer Handtasche und klemmt einen Flipflop in die Tür.
Langsam, als wäre jede Bewegung eine Qual und jeder Atemzug ein Countdown, geht sie zum Bett. Legt sich nackt auf den Bauch. Spürt die Kälte der Laken auf ihrer warmen Haut. Packt das Telefon fester. Textet ihrer Mörderin.
Ich bin bereit.
Die Zeit verlangsamt sich. Suzie weiß nicht, wie lange sie schon hier ist. Ihre Gedanken gleiten ab. Sie könnte nicht mit Sicherheit sagen, ob sie eingeschlafen ist, seit sie hier in diesem beigefarbenen Zimmer liegt, mit seinen weißen Laken und der dünnen Matratze.
Weiß nur, dass Simon so gestorben ist. Und dass sie, indem sie so hier liegt, dabei hilft, seine Mörderin zu fangen.
Der
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