Dein Name
das Symbol der importierten westlichen Zivilisation sind Eisenträger und Eisentüren. Das ist nicht mehr die alte Isfahaner Kunst, als man noch die schönen Holztüren mit ihren Schwüngen und Ornamenten zimmerte. Das ist nicht mehr die präzise und weitblickende Architektur, die sich die Mühe macht, eine schöne, nein: die vollkommene Kuppel zu bauen. Heute ziehen sie vier Pfeiler hoch, die sie mit Industrieziegeln auffüllen, darüber werfen sie ein Eisengerüst, und das soll dann eine Schule sein oder mit Runddach eine Moschee. Keines dieser neuen Gebäude hat âºcharacterâ¹, wie die Franken sagen. Wenn ich dann manchmal zu Besuch in einem dieser alten Häuser bin, labe ich mich förmlich an diesem Anblick. Ich will dann gar nicht mehr gehen. Das nimmt mich sehr mit. In den alten Palästen ist es ebenso, auf dem Schah-Platz, im Basar von Isfahan. In der Stadt ist ja kaum noch etwas übrig von diesen herzerfrischenden Orten. Das meiste ist vernichtet worden. Isfahan hat seine Vergangenheit vernichtet.
In den Notizen, die ich mir während unseres Gesprächs machte â ach, seine Stimme: schon vor fünfzehn Jahren hell krächzend, daà man selbst über seinen Abgesang lächeln muÃte, und so viele Pausen zwischen den Worten, so viel Zeit, wo Zeit nicht mehr zählt â, in meinen Notizen von damals habe ich noch einige andere Hinweise gefunden, die für Deinen Namen zu gebrauchen gewesen wären, insofern sie GroÃvaters Lebensbeschreibung ergänzen. »1923 habe ich zum ersten Mal einen westlichen Anzug getragen«, erinnert sich Herr Mehriar etwa und fährt fort, über die Durchsetzung des Schleierverbots zu sprechen, die 1936 bei vielen Isfahanis Angst, Ablehnung und Wut erzeugt habe und bis heute traumatisch wirke: »Es hätte nichts dagegen gesprochen, den evolutionären Gang der Dinge abzuwarten. Wären sie frei gewesen, hätten immer mehr Frauen mit der Zeit das Kopftuch abgelegt. Aber der frühere Schah konnte das Wort âºFreiheitâ¹ nicht denken, nicht einmal richtig aussprechen konnte er es, ganz zu schweigen davon, den Menschen eine freie Wahl zu lassen.«
Sicher, das kann man so oder so ähnlich auch in Geschichtsbüchern lesen. Kostbarer ist das, was ich nicht mehr anhand meiner Notizen zu rekonstruieren vermag, etwa eine Einlassung über das frühere Obst, also auch GroÃvaters und UrgroÃvaters und sogar UrururgroÃvaters Obst, wie sensationell im Wortsinn es geschmeckt habe, die Pfirsiche, Aprikosen, Quitten, Ãpfel, Gurken, Melonen und Kirschen. Ich weià noch, daà er mir das Spezifische des jeweiligen Aromas zu erklären versuchte â wie genau schmeckte denn früher die Quitte, die Aprikose? â, doch scheinen mir die Unterschiede damals nicht wichtig genug gewesen zu sein, da ich sie gar nicht erst mitschrieb. Auch zur alten Kunst der Wasserversorgung, über die Herr Mehriar ausführlich sprach, habe ich mir nur den einen Satz notiert, daà die alte Zivilisation die Isfahanis gelehrt habe, das Wasser aus tiefsten Quellen zu schöpfen und über weite Flächen und sogar die Hügel hinauf zu verteilen. Andere Stichworte auf meinem Notizblock, die leider nicht ausgeführt sind und damit für jemanden wie mich mutwillig vernichtet: Kochen, Feuer, Heizungen, Brot, Dialekt, Kunst sowie der Himmel über Isfahan.
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Während er Deinen Namen schrieb, hatte Navid Kermani Angst vor jedem neuen Kapitel, und zwar nicht die Angst des Schriftstellers, schlieÃlich lebt der Roman, den ich schreibe, von den Toten, so pervers das auch klingt oder wohl nicht nur klingt, sondern die Angst des Menschen vor dem, was selbst gläubige Menschen so schwer als göttlichen Ratschluà annehmen können, obwohl auch ungläubige Menschen das Prinzip einsehen, das dem Ratschluà zugrunde läge. Daà er als Romanschreiber und als Navid Kermani nicht derselbe ist, ist ihm in dieser Deutlichkeit überhaupt erst durch Deinen Namen bewuÃt geworden. Anders als der Romanschreiber hat Navid Kermani auch gelernt, daà er nicht über Leichen gehen möchte, um an den flapsigen Ausdruck zu erinnern, der zweimal fiel, vielmehr dem Leben den Vorzug über die Kunst gibt, dem Jetzt, soweit es ihm eben zuteil wird, über die Ewigkeit, soweit sie einem Roman zuteil werden könnte, den ich schreibe. Er will nicht, daà etwas gut ist für einen Roman, wenn es
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