Deine Lippen, so kalt (German Edition)
Boden knallt. Die Köpfe der Jungs von der anderen Seite des Ganges fahren hoch, und ich funkle sie wütend an, bis sie sich in ihren Sweatshirts verkriechen und sich wieder ihre Zeitschriften vor die Nase halten.
Hier werde ich nicht fündig. Ich bin nicht mal mehr sicher, wonach ich überhaupt suche, und plötzlich ist mir so heiß, so klaustrophobisch zumute, dass ich zu schwitzen beginne. Ich stolpere an den Kids und der steinalten Bibliothekarin vorbei, die mich durch die Gläser ihrer dicken schwarzen Hornbrille missbilligend ansieht, und zur Tür hinaus an die eiskalte Luft, wo ich ausgerechnet mit der Person zusammenstoße, die ich gerade am allerwenigsten sehen will.
»Oh, tut mir leid«, sagt Gabriel und fängt mich auf, seine Hände umschließen meine Oberarme. »Ich habe dich gar nicht kommen sehen.«
Ich bin überzeugt, dass er lügt. »Schon klar.« Ich schüttle ihn ab und gehe einfach davon, aber ich höre, wie er mir folgt, seine Schritte dröhnen auf dem Bürgersteig. Auf der Straße ist nicht viel los. Ich gucke kurz nach rechts und links und renne auf die andere Seite, nach Hause.
»Du kannst mich nicht leiden«, sagt er, als er zu mir aufschließt und sein Tempo meinem anpasst. Unter seinen Füßen rascheln trockene Blätter und Gras. Es ist keine Frage.
»Ich kenne dich nicht.« Das stimmt, auch wenn das, was er gesagt hat, ebenfalls der Wahrheit entspricht.
»Gabriel«, sagt er, dreht sich um, läuft rückwärts vor mir her und streckt die Hand aus. »Schön, dich kennenzulernen.«
»Mein Gott, was ist dein Problem?« Ich versuche lässig zu klingen, herablassend, aber meine Wangen glühen bereits und ich weiß, dass er es sehen kann. »Zieh los und such dir ein anderes Mädchen, das du belästigen kannst. Glaub mir, sie werden alle begeistert sein, sich auf das Frischfleisch stürzen zu können.«
»Kein Interesse«, erwidert er und steigt leichtfüßig über einen toten Ast, während er immer noch rückwärts geht und den Blick fest auf mein Gesicht gerichtet hält.
»Das ist nicht mein Problem«, informiere ich ihn und versuche zu ignorieren, wie sehr mein Herz schon wieder hämmert. Ich habe mich unter Kontrolle, wirklich , ich muss mich nur konzentrieren. Ich gehe schneller, versuche an ihm vorbeizukommen, aber er erhöht ebenfalls Schritt für Schritt das Tempo.
»Ich kann es spüren, weißt du«, sagt er und bleibt plötzlich stehen. Gleichzeitig schnappt er sich meinen Arm, sodass ich stolpernd neben ihm zum Halten komme. »Was in dir ist.«
Mein Blut schießt unerträglich heiß durch meine Venen, meine Haut spannt, prickelt. Er kann nicht davon wissen, niemand kann das, es ist nichts, was man sehen könnte.
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, würge ich hervor, obwohl meine Zunge sich wie betäubt in meinem Mund anfühlt, unförmig und aufgequollen.
Ich wechsle in einen Dauerlauf, bevor mir überhaupt bewusst ist, dass meine Füße sich bewegen, und über das Trommelfeuer meiner Schritte hinweg höre ich ihn rufen: »Doch, das tust du.«
Ich renne direkt an meinem Haus vorbei, durch den wild wuchernden Garten zu Mrs Petrellis Garage. Ich schwitze, keuche, bin völlig außer Atem, mein Rucksack schlägt gegen meine Hüfte, aber das ist mir alles egal. Ich krabble die Stufen hinauf, und das Einzige, woran ich denken kann, ist, wie Danny mich in den Arm nimmt.
Er wartet auf mich, steht starr an der Kante seines behelfsmäßigen Bettes und blinzelt. »Wren.«
Ich sage kein Wort, ich kann es nicht. Ich lasse einfach meinen Rucksack auf den staubigen Boden plumpsen, laufe in seine Arme und vergrabe den Kopf an seiner Brust.
Er hält mich fest, seine Finger spielen mit meinem Haar. »Ich habe dich kommen gehört, ich habe dich vermisst«, flüstert er und setzt sich, zieht mich auf seinen Schoß.
Er drückt seine Wange an meinen Kopf, fährt mit den Händen meinen Rücken hoch und runter, unter meinem Kapuzenshirt, und es ist genau wie die Millionen Male, die wir früher so zusammengesessen haben.
Es ist, was ich wollte, aber es ist völlig falsch. Er ist so kalt und bleich wie ein Knochen, zu hart, und wenn ich meine Wange gegen seine Brust presse, ist die Stille kaum zu ertragen. Ich lag immer mit ihm auf dem Sofa in Beckers Keller oder oben in meinem Bett, wenn meine Mutter nicht zu Hause war, und zählte seine Herzschläge, ein stetiges Dadam-dadam , das ich unter meiner Handfläche spürte, sogar durch sein T-Shirt hindurch.
»Was ist los?«, fragt er. »Du
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