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Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Titel: Deine Lippen, so kalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Garvey
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wenn jemand ihm eine Frage stellt. Danny hat ständig über ihn gelästert, als er noch … noch zur Schule ging halt.
    Und noch gelebt hat , flüstert eine Stimme in meinem Kopf. Eine fiese, anklagende Stimme, die der Tatsache, dass ich nicht der Grund dafür war, dass er starb, keinerlei Beachtung schenkt. Es war seine Schuld, seine und Beckers, weil sie Arschlöcher waren und in Beckers Wagen zum Park am westlichen Stadtrand gebrettert sind, obwohl sie getrunken hatten. Die Straßen dort sind wie ein gigantisches Spinnennetz, sie durchziehen ein Areal, das mit Wanderwegen und Bäumen gespickt ist, und sie sind schon bei Tageslicht und in nüchternem Zustand schmal und kurvenreich genug.
    Nachdem ich ein Foto der Unfallstelle gesehen hatte, Beckers alter Celica am breiten Stamm einer Kastanie zu einem Akkordeon gestaucht, wurde mir klar, wie leicht ich in diesem Auto hätte sitzen können. Drück mir ein Bier in die Hand und auch ich treffe nicht länger die klügsten Entscheidungen.
    Aber noch viel beängstigender war die Erkenntnis, dass ich mir eine Minute lang wünschte, ich hätte in dem Auto gesessen.
    Damit fing alles an. Mit dem Wissen, dass ich die Zeit nicht zurückdrehen und auf die Rückbank klettern konnte wie so viele Male zuvor – und der ungeheuren Sehnsucht, Danny wieder bei mir zu haben, die mich ernsthaft darüber nachdenken ließ, ob ich nicht genau das geschehen lassen konnte.
    Als ich mich an den flatternden weißen Papiervogel erinnerte, war ich davon überzeugt.
    Jetzt sehe ich Danny an, der genauso blass ist wie jener Vogel und in gewisser Weise ebenso fragil, und er lächelt mich an. Streckt die Hand aus, um meine Wange zu streicheln, steckt eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Schmiegt seine Hüften enger an mich, alles dürre, harte Knochen unter der Jeans, die seine Mutter mir auf meine Bitte hin überlassen hat. »Er hat meinen Namen draufgeschrieben«, erzählte ich ihr und zeigte auf den Schriftzug, den er mit Edding auf die Innenseite einer Wade gekritzelt hatte, und sie schluckte ihre Tränen hinunter, bevor sie mich auf die Stirn küsste.
    Er war in einem dunkelgrauen Anzug, einem weißen T-Shirt und mit einer eisblauen Krawatte um den Hals begraben worden. An dem Tag, als ich die Jeans nach Hause brachte, verbrannte ich die Sachen. Ich hatte ein paar T-Shirts in dem Secondhandladen in der Stadt besorgt. Der Anzug roch nach Friedhof, schwer und sauer, und darin sah er kein bisschen wie der Danny aus, den ich kannte.
    Er fährt gerade mit dem Mund über mein Haar, streicht meine Hüfte entlang und hakt die Finger in die Gürtelschlaufen meiner Jeans, um mich noch enger an sich zu ziehen. Ich schlucke schwer, versuche, nicht zu erschauern.
    Er ist so kalt. Ist jetzt immer so kalt, mit zu Eis polierter Haut. Und sein Körper ist so still – das ferne Pochen seines Herzschlags, das Rauschen seines Blutes, das durch die Adern schoss, schien nie beachtenswert, bis es nicht mehr da war. Ich drehe mich in seinen Armen, damit ich den Kopf heben und ihn küssen kann, und hoffe, dass es reichen wird.
    Aber das tut es nie. Nicht mehr. Eine Weile wird er sich entspannen, mich gefühlvoll küssen, es auskosten, mich schmecken, aber das hält nie lange an.
    Es ist ungeheuer schwer, diesen Schritt zurück zu machen. Selbst für mich, denn ich erinnere mich daran, wie es sich anfühlte, unsere Küsse von den Mündern wegwandern zu lassen, die Kleider abzustreifen, um neue Stellen zum Berühren, zum Schmecken zu enthüllen.
    Ich erinnere mich, wie es war, seinen Herzschlag in dem Puls an seinem Hals zu spüren, rasend, stolpernd. Wie warm er war, die Wangen rot glühend, die Hände heiß und fest.
    Aber so ist es jetzt nicht mehr. Jedenfalls nicht für mich, und jedes Mal, wenn ich mich von ihm lösen muss, wird mir bewusst, wie stark er ist, wie sehr er nach etwas verlangt, das ich ihm nicht geben kann. Ich kann nicht glauben, dass er nicht spürt, wie ich verkrampfe, völlig steif und panisch werde. Dass er das hasenherzige Flattern meines Pulses nicht spürt, jederzeit zur Flucht bereit.
    Gabriel würde es spüren. Der Gedanke trifft mich aus dem Nichts, er ist so unwillkommen, dass ich blinzle und Danny viel zu heftig wegstoße, während ich gleichzeitig mit der Decke kämpfe, ehe es mir gelingt, mich aufzusetzen.
    Für Gabriel ist kein Platz in meinem Kopf und definitiv keiner in diesem Zimmer. Es fällt mir schwer, mich nicht in dem dunklen Raum umzusehen, als könne Gabriel sogar jetzt noch

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