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Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Titel: Deine Lippen, so kalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Garvey
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Leben erweckt. In gewisser Weise jedenfalls. Das ist nicht das Gleiche, wie ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern.
    Gabriel beobachtet mich und legt seine Apfelkitsche auf den Tisch, bevor er sagt: »Es ist nicht, wie du denkst.« Er spricht so leise, dass ich mich ein bisschen vorbeugen muss. »Ich kann deine Gedanken nicht lesen, jedenfalls nicht Wort für Wort und nicht, wenn ich mich nicht sehr stark konzentriere, und selbst dann ist es nicht besonders genau. Du hast vorhin versucht, mir etwas zu sagen, stimmt’s? Ich weiß nicht, was es war, aber ich konnte irgendwie fühlen … wie du mich angestupst hast.«
    Oh. Das ist … unerwartet.
    Meine Verwirrung muss mir anzusehen sein, denn er zuckt mit den Schultern. »Es ist eher so, dass Gefühle auf mich einströmen. Manchmal Bilder. Sagen wir, jemand sitzt mir im Bus gegenüber und denkt sehr intensiv an seine Schwester. Ich bekomme dann womöglich den Eindruck getragener Baumwolle oder bestimmter Farben oder als erstes einen Geruch, und dann vielleicht die Erinnerung, wie sie sich zusammen unter der Bettdecke verstecken, ein Buch lesen oder sich um den letzten Pfannekuchen streiten oder was auch immer, daher weiß ich dann, dass derjenige an seine Schwester und nicht an seine Mutter denkt. Verstehst du?«
    »Irgendwie schon.« Ich schätze, es ist wie ein Fenster, das ihm einen zwar verzerrten, aber immer noch sehr direkten Blick in den Kopf von jemandem gewährt. Und in sein Herz.
    Ich frage mich, ob er Danny und mich sehen kann, wie wir aneinandergekuschelt auf meinem Bett lagen, bevor er starb. Ob er Dannys Seife riechen kann, diejenige, die er früher immer benutzte, oder wie seine Hände sich jetzt auf meiner Haut anfühlen, kalt und steif.
    »Hauptsächlich ist es einfach das gute, alte Zweite Gesicht«, sagt er, als wäre das Zweite Gesicht etwas Alltägliches, und ich rolle mit den Augen. »Ich kann nicht in die Zukunft blicken, jedenfalls normalerweise nicht, aber manchmal sehe ich die Vergangenheit. Und von den meisten Leuten empfange ich eine Art schwaches Summen wie ein Rückkopplungssignal, außer ich blende es aus. Aber bei dir …« Er bricht ab, legt seinen Kopf einmal mehr auf die Seite und sein Blick ist so bedeutungsschwanger, dass er mich auf meinem Sitz festnagelt. »Bei dir ist es anders. Lauter, viel intensiver. Es ist pure Energie, und ich weiß, was das bedeutet, denn meine Großmutter war auch so wie du.«
    »Wie ich?« Meine Stimme klingt weit weg, dünn und schwach.
    »Die Kräfte, die du hast.« Er beugt sich näher zu mir, flüstert jetzt. »Was du tun kannst.«
    Und da sind sie nun, die Karten auf dem Tisch. Ich schlucke schwer, stelle mir vor, dass er als Nächstes etwas Schreckliches sagen wird, etwas, das er nicht wieder zurücknehmen kann. So etwas wie gute, alte Hexerei . Ich würde es nie so nennen, noch nicht einmal, wenn ich mir vorstelle, wie die Leute mich auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Es hört sich falsch an, schlimm. Gefährlich.
    Was wäre gefährlicher, als die Toten zum Leben zu erwecken? , flüstert die Stimme in meinem Kopf, so süß wie Zuckerguss auf einem vergifteten Plätzchen.
    »Und warum hast du angenommen, ich wäre glücklich darüber, dass du es spüren kannst?«, flüstere ich zurück. Ich habe die Arme so fest vor der Brust verschränkt, dass die Muskeln zu zucken beginnen, und ich meine beinah, panische Funken von mir wegstieben zu sehen, flammende blaue Finger, die mir den Fluchtweg weisen.
    »Weil ich auch anders bin.« Seine Stimme klingt so drängend, so ehrlich. »Was meinst du, wie die Menschen reagieren, wenn ihnen klar wird, dass ich weiß, was sie fühlen, wenn nicht gar, was genau sie gerade denken? Wenn ich in sie hineinspüren und die Erinnerung finden kann, wie sie während einer Übernachtungsparty in der dritten Klasse in den Schlafsack gepinkelt haben? Wie der Typ sie zurückgewiesen hat, auf den sie stehen? Wie der unheimliche Onkel sie angefasst hat?«
    »Aber das brauchen sie ja nicht zu wissen«, zische ich ihn an. »Du erzählst es ihnen einfach nicht und damit basta. Wenn mich dagegen jemand erwischt …« Ich lasse die Worte in der stickigen Cafeterialuft hängen, erdrückend genug, um jeden Moment auf uns herabzustürzen.
    Er blinzelt nicht mal, sein Blick ist so klar, so gelassen, dass ich mich ein wenig davon besänftigen lasse. »Ich werde nichts verraten, versprochen. Und wir … ich meine, es ist nicht so, als wollte ich dich damit unter Druck setzen. Es hat mich

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