Deine Lippen, so kalt (German Edition)
darüber im Klaren ist. Eine Minute bin ich sprachlos – die Erleichterung ist so wunderbar, ich habe meine ganze Wut mitten ins Feuer schießen lassen. Als Mom einen Arm um meine Schulter legt, wehre ich mich nicht dagegen. Die Wut ist immer noch da, aber sie köchelt jetzt nur noch vor sich hin, ganz entfernt, in einem anderen Raum, wo ich ihre Hitze kaum mehr spüre.
»Es ist nicht ganz so, wie du es dir vorstellst«, sagt sie und führt mich zum Sofa, wo sie sich neben mich setzt und meinen Kopf an ihre Schulter zieht. »Ich habe ihn über dich und deine Schwester auf dem Laufenden gehalten, weil er Bescheid wissen will. Er liebt euch beide, aber er hatte das Gefühl, es wäre besser für euch, wenn ihr ohne ihn aufwachst. Was er getan hat, hat er aus Liebe getan, Wren. Egal, was Märchen einem weismachen wollen, Liebe ist nicht immer gleichbedeutend mit einem Happy End.«
Ich vergrabe mein Gesicht an ihrer Schulter, aber es ist nicht mein Dad, an den ich denke. Ich sehe Danny vor mir, so wie ich ihn auf Gabriels Bett zurückgelassen habe, vollkommen starr, immer noch etwas verdreckt von seiner Mitternachtswanderung, die Lippen blau und dünn und so anders als der warme, weiche Mund, den ich immer weiter hätte küssen können.
Wenn ich ihn wirklich liebe, muss ich ihn gehen lassen. Und hoffen, dass wo immer er auch hingeht, er sich nicht daran erinnert, dass ich ihn nicht genug geliebt habe, um ihm seinen Frieden erst gar nicht zu rauben.
Für mich wird es vielleicht kein Happy End geben, aber ich werde Danny eins schenken. Ich hoffe nur, dass es dafür nicht bereits zu spät ist.
Kapitel vierundzwanzig
D er Sonntagmorgen fühlt sich an wie ein seltsamer Traum. Mari hat bei uns geschlafen, also sitzen wir zu viert am Frühstückstisch, und Mari und Mom dabei zuzusehen, wie sie zusammen lachen und Waffeln backen, ist nach all der Zeit, die ich mir genau das gewünscht habe, ein bisschen surreal. Robin ist ganz baff, da sie es überhaupt nicht kennt, dass sie so miteinander umgehen. Sie stoßen sich mit den Ellbogen an und albern herum wie Schwestern und nicht wie zwei steife Fremde, die sich in der Gegenwart der anderen unwohl fühlen. Aber ich kann sehen, dass auch sie sich darüber freut.
Natürlich ist es nicht perfekt. Aber als ich gestern Nacht ins Bett gegangen und im Flur vor Moms Zimmer stehen geblieben bin, habe ich gehört, wie sie immer noch redeten.
»Es ist nichts, was sich einfach ignorieren lässt«, hat Mari so leise gesagt, dass ich sie kaum verstand. Natürlich hätte ich mich erst gar nicht neben der Tür an die Wand drücken sollen, um zu lauschen. »Das weiß Sam auch.«
Sam. Mein Dad.
Moms Antwort war nicht mehr als ein schwaches Murmeln, zu leise, als dass ich es hätte verstehen können, und ich habe mich gefragt, ob es bei ihrem Gespräch um unsere Kräfte ging.
Worüber auch immer sie gesprochen hatten, ich schlief in dieser Nacht mit dem Gedanken ein, dass auch Mom den Mann noch nicht richtig losgelassen hatte, den sie liebte. Vielleicht waren wir alles in allem betrachtet doch nicht so verschieden. Ich wollte mich davon trösten lassen, aber der Montagabend zeichnete sich schon bedrohlich in der Ferne ab, ein dunkles, nicht zu übersehendes Mal am Horizont.
Es ist schwer, diesen Schatten abzuschütteln, sogar hier am Küchentisch, wo ein Teller mit frischen, in Sirup und Butter getränkten Waffeln vor mir steht. Aber ich gebe mir alle Mühe und verbringe Zeit mit ihnen, um Wiedergutmachung für die Show zu leisten, die ich mit meinem Verschwinden abgezogen habe. Und Robin sprudelt dermaßen über vor Dankbarkeit, dass ihr Dank lustige Formen annimmt. Sie süßt den Orangensaft in meinem Glas und verleiht den Minikürbissen im Körbchen, die Mom gekauft hat, neuen Glanz. Ihre Farben sind plötzlich viel intensiver und strahlender.
Zur Abwechslung sagt Mom einmal: »Hübsch«, als sie sie entdeckt, und fährt mit dem Finger über den dicken Kürbis, der ganz oben im Körbchen liegt. Robin errötet und Tante Mari, die an der Anrichte steht, lächelt uns über ihren Kaffeebecher hinweg zu.
Ich möchte das alles für immer festhalten, aber ich muss nach Danny sehen, und Mom hindert mich nicht daran, das Haus zu verlassen, obwohl ich ihr nicht sage, wohin ich gehe. Das überrascht mich etwas, aber sie begleitet mich zur Tür und legt ihre Wange an meine. Robin und Tante Mari haben sich auf das Sofa gesetzt, um einen Film zu gucken, und Mari bürstet Robins Haar.
»Du bist zum
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